Zeitbombe Internet
andere verabschieden sich vom Fairplay, binden ihre Kunden mit unlauteren Methoden an sich, etwa indem sie deren persönliche Daten nicht herausgeben, und versuchen, auf diese Weise ihre Netzprofite zu sichern.
Vor allem aber: Bei den Benutzern des Internet mehren sich Ãngste, Gegenreaktionen und AbstoÃungserscheinungen. Ja, die Nutzerzahlen steigen weiter und die Zeit, die die Menschen vor Computer- und Handybildschirmen verbringen, nimmt zu. Kaum jemand mag die Vorzüge des Netzes
missen. Aber die Menschen verlangen zunehmend Dinge, die ihnen das Internet nicht bietet: Verlässlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, den Schutz ihrer Daten â und zugleich Freiheit. Sie fürchten sich davor, dass ihr Leben in Zukunft durch das Netz kontrolliert wird, dass aber niemand kontrolliert, wer das Netz beherrscht. In Deutschland gibt es heute wieder Demos für den Datenschutz â so etwas hatte man zuletzt in den 1980er-Jahren gesehen, vor der damaligen Volkszählung. Die Formen des Protestes und des Widerstands sind vielfältig.
Die einen sind die Minderheit. Menschen, die längst im Netz zuhause sind und sich nun sorgen, unterschreiben Onlinepetitionen gegen Netzsperren, sie wählen die Piratenpartei, oder sie nehmen das Gesetz selber in die Hand: Anfang 2011 attackieren selbsternannte Hacker-Bürgerrechtler groÃe Unternehmen wie Amazon und Mastercard im Internet, und es erschien fast wie ein Volksport, so viele machten mit.
Die anderen sind die Mehrheit. Sie haben lange geschwiegen, das Netz als ein Problem anderer Leute hingenommen, es einfach als eine praktischere Reinkarnation von Reisebüro und Postamt akzeptiert und als eine Quelle wachsenden Wohlstands. Doch auch diese Mehrheit erregt sich nun. Kollektiv attackierte sie Google Street View und zwang den Konzern zu wesentlichen Ãnderungen. Begeistert folgt sie Intellektuellen, die warnen, das Netz deformiere den menschlichen Geist, es lasse das Denken verkümmern. Sie fordert Verbote und Gebote.
Die Technik versagt und die Gesellschaft rebelliert. Die Gefahr ist groÃ, dass aus dem zeitweisen Misstrauen eine dauerhafte Ablehnung wird. Dann vertraut man dem Netz nicht mehr so bereitwillig wie bisher seine Daten an, dann trifft es den elektronischen Kommerz und seine Businesspläne, dann zerbersten die optimistischen Erwartungen an künftige Wohlstandsgewinne. Dann wird das Internet von Politikern und Behörden überreguliert, der Raum der Freiheit wird zur voll überwachten Zone oder zu einem leblosen virtuellen Einkaufszentrum degradiert. Dann beschränken mehr Staaten den internationalen Datenverkehr.
Dem Internet droht entweder sein zweiter groÃer Zusammenbruch â oder es muss sich in etwas Neues verwandeln.
Technische Lösungen? Fehlanzeige
Es gibt eine Art von Internetinsidern â Ingenieure, Technikexperten, Systemadministratoren, Programmierer und Hacker â, die mit der groÃen Mehrheit der Internetbenutzer ziemlich unzufrieden sind. Sie sagen: Lasst uns doch in Ruhe! Wir haben dieses Netz geschaffen, und ihr versteht es nicht richtig. Ihr macht euch mit der Technik nicht ausreichend vertraut. Ihr zerstört dieses Netz am Ende noch durch eure Bedienungsfehler, eure Inkompetenz und eure hysterische Skepsis gegenüber jeglicher Neuerung.
Diese Einstellung ist weit verbreitet. Im amerikanischen Technikverlag OâReilly ist kürzlich ein Buch des Informatikexperten Terrence Ryan erschienen, das unter dem Titel Den technischen Wandel vorantreiben seitenweise die Dummheit von Computeranwendern beklagt. »Der Widerstand Ihrer Kollegen gegenüber neuen Technologien kann verblüffend sein«, schreibt Ryan. »Logische Argumente können da versagen. « Für Ryan teilen sich Unternehmensbelegschaften, die eine neue Technik aufgedrückt bekommen, in »die Uninformierten, die Herde, die Zyniker, die gebrannten Kinder, die Gehetzten, den Boss und die Irrationalen«. Alles lästige Leute, auf die ein Informatiker mit Engelszungen einreden muss. Aber die neue Technik ist gut und richtig. Am Ende setzt sie sich durch.
Auf solche Einstellungen trifft man auch, wenn es um die aktuellen Probleme des Internet geht. Sicherheitsprobleme wegen der vielen Hacker und Kriminellen? Es ist ein Ritual bei Konferenzen zur Internetsicherheit, dass irgendwann ein Systemadministrator oder Betreiber einer Internetzugangsfirma aufsteht und sich bitterlich über die naiven Nutzer beklagt,
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