Zeitbombe Internet
haben jene, denen Freiheit im Internet viel bedeutet â auch wenn sie sehr unterschiedliche Dinge darunter verstehen â , eine kritische Masse erreicht.
Das netzpolitische Erweckungserlebnis in Deutschland war eine Onlinepetition gegen die von der Bundesregierung geplanten Netzsperren. Innerhalb weniger Tage hatten 134.000 Bürger die Petition im Internet unterschrieben. Ein Internetfilter sollte kinderpornografische Internetseiten bundesweit unterdrücken, und nicht das Ziel, sondern der Weg
erregte viele Internetnutzer. Hinzu kam der Verdacht, dass die Bundesregierung die Kinderpornografie wählte, um Netzsperren mehrheitsfähig zu machen â weil ja niemand gegen den Kampf gegen Kinderpornografie sein kann.
Der Chaos Computer Club und andere zeigten aber, wie leicht solche Filter zu überwinden waren. AuÃerdem trug ein schnell gegründeter Arbeitskreis Zensur zusammen, wie Netzfilter in anderen Ländern dazu verführten, nicht nur eindeutig strafbare Handlungen, sondern auch politisch unbequeme Internetangebote zu unterdrücken. Franziska Heine, die Initiatorin der Onlinepetition, wurde zusammen mit dem deutschen Mitglied von Wikileaks, Daniel Domscheit, ins Bundesfamilienministerium zu Ursula von der Leyen eingeladen. Bis am Ende die FDP im Bundestagswahlkampf dafür eintrat, das Gesetz über Netzsperren aufzuheben und politischen Druck auf die Internetprovider und die Länder auszuüben, in denen kinderpornographisches Material gespeichert und angeboten wurde. Dies konnte aber nicht verhindern, dass die Piratenpartei mit ausschlieÃlich netzpolitischen Themen bei der vergangenen Bundestagswahl zwei Prozent der Stimmen bekam.
Beide Seiten tun sich schwer, eine gemeinsame Sprache und mehr noch eine gemeinsame Politik zu entwickeln. Aber immerhin: Sie reden inzwischen miteinander.
Deutschland, sagt der französische Netzaktivist Jeremie Zimmermann, habe verglichen mit anderen Ländern in Europa die lebendigste Szene aus politischen Hackern, Netzaktivisten und netzpolitischen Organisationen. Und wie sehr sie inzwischen wahrgenommen werden, sieht man am besten am Chaos Computer Club, dessen Sprecherin Constanze Kurz von der Partei »Die Linke« in die Enquete-Kommission »Digitale Gesellschaft« des Deutschen Bundestags entsandt wurde. Kurz und ihr Sprecher-Kollege Frank Rieger suchen die breite Ãffentlichkeit auÃerdem als Buchautoren â und Gastautoren in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Als unabhängiger Sachverständiger wurde auch der Bielefelder Netzaktivst Padeluun vom Verein Foebud in die Enquete-Kommission
gebeten. Der Foebud brandmarkt seit Jahren die schlimmsten Daten-Sünder in Industrie und Verwaltung und organisiert regelmäÃig Demonstrationen unter dem Motto »Freiheit statt Angst« in Berlin mit. Und seit diesem Frühjahr ist die Szene sogar noch reicher. Marcus Beckedahl, der den netzpolitischen Kongress re:publica in Berlin mit veranstaltet, welcher zuletzt mehrere tausend Menschen anzog, hat eine Organisation mit dem Namen »Digitale Gesellschaft« gegründet, in der er neben Informatikern auch Juristen und Soziologen um sich schart.
Staaten in Angst. Abschalten oder teilen?
Nicht alle Regierungen lassen sich wie die deutsche (zähneknirschend) auf eine Debatte ein â oder vom Bundesverfassungsgericht einfangen. Autokratische Regime und Diktaturen sehen ihre Herrschaft durch das Internet nicht nur in Frage gestellt, sondern bedroht, und reagieren darauf drastisch. Als der frühere Präsident der Vereinigten Staaten, George W. Bush, im Wahlkampf des Jahres 2004 von »Gerüchten in den, äh, Internets« sprach, haben ihn viele ausgelacht. Doch aus heutiger Sicht war Bush seiner Zeit um einige Jahre voraus. Heute gibt es mehrere Internets !
Ron Deibert überwacht an der Universität von Toronto, wie viele Staaten das Internet inzwischen zensieren. Ein Bericht der Open Net Initiative, die von Deibert in Toronto und Kollegen der US-amerikanischen Universität Harvard getragen wird, listet auf, wo autoritäre Regime ihre Bürger verfolgen, ob Behörden die gesamte Kommunikation aufzeichnen und Bürger aufgrund von Blog-Beiträgen und Mails einsperren.
Ron Deibert hat viel zu tun.
Die OpenNet Initiative legt Profile über 71 Ländern an. In diesen Ländern sind nicht mehr alle Information für jedermann zugänglich.
Syrien steht seit Langem weit oben auf der Liste
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