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Zeitbombe Internet

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Titel: Zeitbombe Internet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fischermann
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heimlich ein Programm auf dem Computer eines Verdächtigen installieren dürfen, damit die Ermittler auf die Festplatte des Verdächtigen zugreifen, seine E-Mails lesen und seine Chats verfolgen können. Diese Onlineuntersuchung unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von der normalen Hausdurchsuchung. Wenn Polizisten eine Wohnung durchsuchen, ist dies zeitlich begrenzt. Und es gibt immer Zeugen.
    Der sogenannte »Bundestrojaner«, ein staatliches Spähprogramm, sollte den Zugriff auf die gesamte Festplatte des Verdächtigen
erlauben, und der Gesetzgeber traf keine besonderen Vorkehrungen, hierbei den Kernbereich des Privatlebens zu schützen, ein Grundrecht, das auch mutmaßliche Kriminelle nicht verlieren. Ein erstes Gesetz dazu legte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vor, und es wurde prompt vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt: »Die Vorschrift wahrt insbesondere nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit. « Einer Landesregierung wurden selten deutlicher die Leviten gelesen. »Angesichts der Schwere des Eingriffs ist die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Zudem ist der Eingriff grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Diesen Anforderungen wird § 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG nicht gerecht. Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichenden gesetzlichen Vorkehrungen, um Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu vermeiden.«
    Die Landesregierung hatte überzogen. Unterdessen erlaubte der Bundesinnenminister zunächst per geheimer Dienstanweisung seit 2005 Onlinedurchsuchungen im Kampf gegen den Terrorismus. Und inzwischen ist die Onlinedurchsuchung auch ins BKA-Gesetz aufgenommen. Gegen dieses Gesetz hat eine Bürgerin allerdings erneut eine Verfassungsbeschwerde angestrengt.
    Als nächstes führte die Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung ein – mit dem gleichen Ergebnis. Die Verfassungsrichter hielten das konkrete Gesetz für grob überzogen und erklärten es für ungültig. Anbieter von Internetzugängen und Telefondiensten sollten die Verkehrs daten aller ihrer Kunden grundsätzlich für sechs Monate speichern. Das konkrete Gesetz sei mit dem Fernmeldegeheimnis »schlechthin unvereinbar«. Es handele sich um einen »besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Auch wenn sich die Speicherung nicht auf
die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus diesen Daten bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen«. Doch das Bundesverfassungsgericht stellt auch fest: Diese Daten zu speichern und für die Strafverfolgung auszuwerten, sei dann erlaubt, wenn die Sicherheit der Daten gewährleistet und die Hürden für den Zugriff so hoch seien, dass der Zugriff in der täglichen Polizeiarbeit eine Ausnahme bleibe – dass er also nur bei schweren Straftaten in Betracht komme. Vorbeugend auf die Daten dürften die Ermittler nur zugreifen, wenn Tatsachen hinreichend eine »konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes« erkennen ließen. Diese Leitlinien in ein neues Gesetz aufzunehmen und es in Kraft zu setzen, ist der schwarz-gelben Koalition bis zum Herbst 2011 nicht gelungen.
    Die Grundrechte wurden unabhängig davon verletzt, ob eine rot-grüne, große oder schwarz-gelbe Koalition regierte. All die Versäumnisse in der Datenschutzpolitik, die Halbherzigkeit in der Modernisierung des Staates im Umgang mit der neuen digitalen Welt – in dieser Sichtweise passen sie zu der anderen Seite deutscher Politik, das Fernmeldegeheimnis zu schwächen. Man könnte sagen: Es sind zwei Seiten der gleichen Politik. Von Bundesinnenminister Otto Schily über Wolfgang Schäuble zu Thomas de Maizière und bisher auch zu Hans-Peter Friedrich ist es eine gerade Linie.
    Doch die Gegenbewegung hat sich inzwischen formiert. Hacker prallen auf Beamte, Bürgerrechtler auf Strafverfolger, Netzaktivsten auf Parteien, Wähler auf die Regierung. Mehr als einmal

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