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Zeitbombe Internet

Zeitbombe Internet

Titel: Zeitbombe Internet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fischermann
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überall eingesetzt werden und an die Bedürfnisse der Benutzer angepasst werden«, sagt Anand.
    Was sind das denn in Ihrem Fall für Bedürfnisse, Herr Anand?
    Â»Ich mag nun mal Netzwerke und Sicherheitsfragen.«
    Und das soll heißen?
    Â»Ehrlich gesagt, die Leute geben dauernd damit an, dass sie für ihre Examina niemals lernen. Dass sie die ganze Nacht lang nichts tun als Filme zu schauen. Und dann kriegen sie doch gute Noten. Da habe ich mich entschlossen, sie auszuspionieren. «
    Wann war das ungefähr?

    Â»Es ist ein laufendes Projekt. Angefangen habe ich schon im Februar 2009.«
    Sie wollten also rauskriegen, was Ihre Zimmernachbarn nachts so treiben.
    Â»Ja, ich wollte das wissen. Wenn mich jemand belügt, dann werde ich sehr böse. Also habe ich diese Software entwickelt, um herauszufinden, was sie tun.«
    Haben Sie es herausgefunden?
    Â»Ja ... «
    Und?
    Â»In einigen Fällen waren das dann Ansichten vom Videodienst YouTube ... andere Male waren es elektronische Bücher ... «
    Und was haben Sie durch die Kameras gesehen?
    Â»Manchmal war es ganz dunkel, keiner vor dem Computer, und manchmal meine Freunde. Ihre Gesichter. Und manchmal Netzwerkprobleme, also Paket verloren, host unreachable ...«
    Bitte nicht ablenken. Ehrlich gesagt, fallen einem ja auch Anwendungen Ihres Programmes ein, die zum Beispiel die Schlafsäle des Damentraktes betreffen ... aber dafür sind Sie sicher zu alt, oder?
    Â»Ja ☺. Die jüngeren Studenten benutzen das womöglich.«
    Siddharth Anand hat begriffen: Das Internet mit seinen Abermillionen angeschlossener Endgeräte ist die größte Überwachungsmaschine aller Zeiten. Nicht von alleine. Nicht automatisch. Doch mit technischem Wissen, Geschick und Hartnäckigkeit kann man es dazu machen.
    Eine Reihe von Leuten tut genau das. Im vergangenen Jahr half Thomas Floß vom Bundesverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands, von Beruf Elektrotechniker, einen spektakulären Fall der Internetspannerei im Rheinland aufzudecken: Ein 44-jähriger Übeltäter hatte offenbar monatelang in die Zimmer junger Mädchen geschaut. Mit einem Schadprogramm zapfte er heimlich ihre Webkameras an, und als die Polizei ihn festnahm, sollen auf seinem Bildschirm Videos aus hundertfünfzig Jugendzimmern gleichzeitig gelaufen sein. »Perverser Spanner schaute in Kinderzimmer!«, titelte die BILD-Zeitung.

    Eine Handvoll solcher Fälle ist inzwischen bekannt, weltweit. Ein Google-Mitarbeiter wurde wegen solcher Fern-Schnüffelei entlassen. In den Vereinigten Staaten gab es sogar einen Fall, in dem Schüler-Laptops von der Schulleitung mit einem vergleichbaren Spionageprogramm ausgestattet wurden. Als sich ein Proteststurm der Eltern erhob und angeblich auch Bilder von Schülern in ihren Zimmern im Internet auftauchten, versicherte die Schulleitung: Das Programm sei eine reine Sicherheitsmaßnahme, die ausschließlich im Fall eines Diebstahls aktiviert würde. Später kam heraus, dass es Millionen von Laptops auf der Welt gibt, auf denen solch praktische »Sicherheitssoftware« schlummert, wenn sie an die Endkunden ausgeliefert werden – ohne dass ihre Besitzer das ahnen.
    Das ist das eine große Problem: Die Grenze zwischen nützlicher Anwendung und Missbrauch ist hauchdünn. Es ist die gleiche Technik für gut und böse. Sie meldet unseren Freunden, wann sie uns zuhause antreffen können, und Dieben, wann nicht. Unternehmen können Einblicke in unser Privatleben nehmen, machen unser Leben reicher und angenehmer – und spähen uns dabei aus. In Italien haben Steuerbehörden bereits Computernetze durchforstet, um Steuersünder aufzuspüren: Passt das angebliche Einkommen zu dem Lebensstil, mit dem die Menschen sich im Netz präsentieren? Diese Liste ambivalenter Anwendungen ist fast endlos.
    Deshalb entwickeln viele Menschen jetzt wieder Ängste vor der Überwachungsgesellschaft. Sie fürchten einen Verlust der Autonomie angesichts der vielen Technik um sie herum, die Computerfreaks, Unternehmen und Staaten nach Belieben manipulieren können – sie selber aber nicht. Bereits vor drei Jahren verfasste der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar eine Fundamentalkritik der deutschen Internetpolitik. Sein Buch Das Ende der Privatsphäre ist von der Furcht geprägt, dass durch die neue Internetwelt das Land auf dem »Weg in die

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