Zeitbombe Internet
damals weg.
Im Herbst 2011 übersehen Brancheninsider und Branchenbeobachter gleichermaÃen, dass das rasante Wachstum der Internetwirtschaft einen Schwachpunkt hat. Die Prognosen gehen allesamt von einer gewaltigen Ausbreitung des Netzes in neue Lebensbereiche der Menschen aus: von vernetzten Stromzählern im Keller, vernetzten Kleinstgeräten in der Jackentasche, von vernetzten Menschen bis in die fernsten Winkel der Welt. Doch dies ist eine Welt, in der die enormen ökonomischen Kosten und soziale und politische Fragen einfach ausgeblendet werden: Ob die Bürger damit klar kommen? Ob sie sich sicher fühlen?
Die Computer- und Softwarebranche hat essentielle Fragen der Datensicherheit sträflich vernachlässigt, sodass im Augenblick gar nicht klar ist, ob das Netz der Zukunft ihren neuartigen Diensten gehören wird oder Hightech-Verbrecherbanden. Hersteller wie Politiker haben es sträflich unterlassen, einen öffentlichen Dialog über Datenschutz und Freiheitsrechte im Internet zu führen und einen Rechtsrahmen zu definieren.
Damals wie heute wird es einen Tipping Point geben. Der amerikanische Zukunftsforscher Malcolm Gladwell hat dieses in den Natur- und Sozialwissenschaften häufig beobachtete Prinzip packend in seinem gleichnamigen Bestseller beschrieben. Bevor es zum Tipping Point kommt, können hunderte oder tausende kleiner Ereignisse eintreten, ohne dass sich jemand darum schert: Datendiebstähle, geknackte Bankkonten, kollabierende Börsen, Skandale und Skandälchen um die verletzte Privatsphäre bei Facebook, Google oder Apple. Jedes
einzelne Ereignis für sich ist vernachlässigbar. Man nimmt das nicht ernst. Man merkt nicht, dass eine unaufhaltsame Veränderung in Gang gekommen ist, die irgendwann und eines Tages ihre Wucht entfaltet.
Im vorliegenden Fall: Der Rückschlag gegen den Vormarsch des Internets in alle unsere Lebensbereiche.
Tipping Points können auftreten, wenn eine neue Technik sich einen Durchbruch verschafft. So war es mit der industriellen Revolution: In ihren ersten Jahrzehnten merkten weder Universitätsgelehrte noch Unternehmer, dass da etwas Weltbewegendes vor sich ging. So war es mit dem Automobilzeitalter: Die ersten Autos konnten selbst ein krankes Pferd kaum überholen, und entsprechend herzhaft wurde gelacht. So war es beim Start des Internet: Wer wollte schon die Bastler und Träumer der ersten Generation ernst nehmen, als sie eine Revolution des Einkaufens, der Medien, der Demokratie und des Menschseins an sich versprachen?
Tipping Points funktionieren aber auch in der anderen Richtung. Sie können einen Trend aufhalten und umkehren, der nach dem Verständnis der groÃen Allgemeinheit längst unaufhaltsam geworden ist. So war es beim Absturz der Hindenburg 1937, die auf einen Schlag die Ãra der Luftschiffe beendete. Welche Euphorie, welcher Hype hatte sich um diese neue, hochbequeme Art des Reisens gerankt, welche Hoffnungen für die Globalisierung schlummerten in den Erzeugnissen der Zeppelin Company! Allzu bequem wurde damals verdrängt, dass die Zeppelintechnik groÃartig, aber viel zu gefährlich war. Der Traum blieb, aber erst musste eine völlig neue Technik her: die der Propeller- und Düsenflugzeuge. So war es auch bei der Atomkraft in Deutschland â zweimal. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde »Atomkraft? Nein Danke!« mehrheitsfähig in Deutschland, und in der Folge wurde eine Fülle alternativer Pfade erkundet, wurden Solarpaneele und -stromzellen mit Steuermilliarden gefördert, wurde das platte Land mit Windrädern vollgepflanzt. Die umstrittene und wirtschaftlich sowieso kaum überzeugende Renaissance der Kernkraft in den vergangenen
Jahren wurde durch das Unglück von Fukushima endgültig beendet.
Manchmal ist dann schlagartig alles vorbei. Eine enorm verbreitete Technik wird über Nacht beerdigt und in den Jahren darauf durch eine bessere ersetzt.
Für die Zeit davor ist es typisch, dass die allgemein akzeptierten Zukunftsprognosen allzu bequem und selbstverständlich die Entwicklung der vergangenen Jahre fortschreiben. Das merkt man daran, dass sie in hoher Konzentration die verdächtige Wortpaarung »Immer Mehr« enthalten. Immer mehr und mehr Menschen in aller Welt gehen ans Netz! Sie kaufen immer mehr online ein! Die Menschen kommunizieren immer intensiver über soziale Netzwerkdienste wie Facebook! Immer mehr wird das
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