Zeitbombe Internet
Ãberwachungsgesellschaft« Orwellâscher Art sei. Eine Reihe weiterer Bücher folgten mit Titeln wie Verteidigung des Privaten (Wolfgang Sofsky) oder
Rettet die Grundrechte! (vom ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum).
Eine Technik, die Menschen auf Knopfdruck überwachen kann, macht Angst. Und die Bürger beginnen, sich zu wehren.
Nicht vor meiner Haustür: Der Rückschlag gegen das Netz
Bei der Firma Google hat niemand damit gerechnet, dass ihr Angebot in Deutschland einen nationalen Proteststurm auslösen würde. Doch »Street View« brachte im Sommer 2010 die halbe Nation auf die Beine. Eigentlich hatte Google nur etwas im Netz darstellen wollen, das ohnehin öffentlich ist â Fotos der Fassaden deutscher Häuser in 20 Städten. Doch plötzlich stand wieder einmal die ganze Praxis des Datenschutzes bei dem kalifornischen Suchmaschinenanbieter zur Debatte. Politiker sprachen über Verbote. Google musste Konzessionen machen; wer es will, kann seine eigene Fassade jetzt wieder aus dem Netz entfernen lassen, und an die 300.000 Bürger haben davon tatsächlich Gebrauch gemacht. So leidenschaftlich war zuvor nie über das Internet und seine Folgen diskutiert worden â quer durch alle erdenklichen Bevölkerungsgruppen. Die Zahl der erbitterten Gegner wächst, sie fordern eine gesellschaftliche Debatte.
Sie fordern Gesetze und Verbote.
Bis zum Jahr 2009 hat das keinen Politiker in den USA und in Deutschland ernsthaft interessiert. Ums Internet kümmerten sie sich, wenn es galt, die Chancen der heimischen Unternehmen im E-Commerce zu wahren und das Internet im Kampf gegen Terroristen zu durchleuchten. Google? Facebook? Riesige Supercomputer und Datenspeicher, die mehr speichern können als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte? Damit befassen sich deutsche Gesetze nicht. Am besten offenbart sich das im deutschen Datenschutzrecht. Es stammt in wesentlichen Zügen aus einer Zeit, als Unternehmen ihre Daten noch alle auf eigenen Computern speicherten. Auch die grenzüberschreitende Datenverarbeitung konnte
sich weitgehend unreguliert entwickeln â und der Bundesinnenminister zögert, das gemeinsam mit seinen Kabinettskollegen zu ändern.
Anders in Washington und Brüssel. Dort hat im Sommer 2010 eine Debatte begonnen über Bürgerrechte, Datenschutz, das langfristige Speichern von Kommunikationsdaten. Industrievertreter und Bürgerrechtler ringen um die Deutungshoheit, weil die EU-Kommission ihre Gesetzgebungsmaschinerie in Gang gesetzt hat â und jenseits des Atlantiks geschieht genau das Gleiche. Der Ausgang ist noch ungewiss. Beim Treffen der G8-Industrienationen im französischen Deauville im Mai forderte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dass Politiker im Internet »ein Minimum an Werten und Regeln« durchsetzen müssen, »auf die man sich weltweit geeinigt hat«. Regierungen, nicht die Bosse der Internetfirmen, seien die »legitimen Hüter der Gesellschaft«.
Hierzulande setzt sich immerhin die Kulturkritik mit dem Problem auseinander, dass wir »gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen«, wie es der FAZ -Herausgeber Frank Schirrmacher formuliert hat. Schirrmacher beklagt, dass wir wegen des Internets die Kontrolle über unser Denken verlieren, uns nicht mehr richtig konzentrieren (da schlieÃt er den Bogen zu viel älteren Kritikern moderner Medien von Joseph Weizenbaum bis Herbert Simon) und die Fähigkeit verlieren, »einen Handwerker zu bestellen oder zu recherchieren«. Es klingt nach typisch technikfeindlichen, deutschen Intellektuellen, doch so einfach ist es nicht: Auch der amerikanische Journalist Nicholas Carr fragte sich kürzlich besorgt und auf Buchlänge, was sein Gehirn eigentlich so treibe, während er auf den Wellen des Internets hin- und hersurfe. Carr landete damit einen gefeierten Bestseller in den USA, so wie Schirrmacher es in Deutschland gelang.
Mehrere groÃe Computer- und Softwareunternehmen von Intel bis Xerox, Akademiker und sogar Militärs haben in den USA die Operation »Information Overload« gestartet, eine Forschungsinitiative, die sich dem Dauerthema der Informationsüberlastung des Menschen in der vernetzten Welt widmet.
Neurologen mahnen, man möge die Kisten ab und zu mal abschalten. In Frankreich hat der Präsident der französischen Bibliotèque Nationale, Jean-Noel Jeannenney, einen verbalen
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