Zeitbombe Internet
jedem Menschen nur zwanzig Datenpunkte, dann können wir mit weit über 90 Prozent vorhersagen, welchen Geschmack er hat und welche Dinge er mögen wird. Wir sind schon ziemlich gut«, sagt Chris Dixon, nachdem er sich im Büro eine ruhige Ecke gesucht und niedergelassen hat. »Und das sagt auch einiges über den Menschen an sich aus.« Genauer, wie wenig man über einen Einzelnen wissen muss, wie viel der eigene Freundeskreis aussagt â und wie sehr sich die Menschen im Grunde doch gleichen. Alle Werbefachleute wissen das. Aber jetzt erhält dieses Wissen eine neue StoÃkraft. Datenpunkte! Es ist ein kühnes Wort für jene Schlüsselinformationen, die Dixon unser ganzes Leben zu erklären scheinen. Der Mann lehnt sich zurück, schiebt seine Hornbrille die Nase hoch und kratzt an seinen grün-lila-gelb geringelten Wollsocken. Dann unterbricht der Firmenhund das Gespräch. Dixon beugt sich hinab und krault den winzigen Terrier, bis der wieder verschwindet.
Wer nicht glaubt, was Dixon sagt, sollte Hunch ausprobieren. Die Fragen sind scheinbar banal: Können Sie selbst ein Dolby-Surround-System anschlieÃen? Ist es falsch, Delfine in Shows auftreten zu lassen? Sind Sie eine Mac-Person oder ein PC-Typ? Cola oder Pepsi? Sind Sie in der Schule viel gehänselt worden? Zwanzig Fragen sind es â und die Ergebnisse dann atemberaubend zielgenau: bis hin zu einzelnen Büchern, Schuhmodellen und politischen Einstellungen. Ob das nun zu 92, 95 oder 97 Prozent zutrifft, bedürfte einer Ãberprüfung von auÃen. Was der Buchhändler Amazon für Bücher geschafft hat, liefert Hunch für Hunderte von Produkten.
Woher Chris Dixon all die Daten bekommt, die er braucht? Von einigen groÃen Datensammelstellen, die für jede Technik dankbar sind, die ihnen hilft, mehr Umsatz zu erzeugen. Es würde auch nicht verwundern, wenn die Hunch-Technik bald auf sogenannten sozialen Geo-Location-Apps auftaucht: Die bekanntesten heiÃen Foursquare, Gowalla, Facebook-Places, Google-Latitude und Brightkite. Das Prinzip ist überall ähnlich. Mitglieder können sich über ihr Handy Plätze in der Nähe anzeigen lassen und dort »einchecken«. Ihre Freunde sehen dann einen Punkt auf dem Stadtplan. Ob in Bars, Restaurants, im Einkaufscenter, am Arbeitsplatz oder im heimischen Wohnzimmer. Bei Foursquare gibt es für jeden Check-In virtuelle Punkte, und wer am häufigsten an einem Ort eincheckt, wird dessen »Bürgermeister«. Würde Hunch all diese Daten analysieren, könnte Foursquare seinen Nutzern, wenn diese einen Stadtbummel machen, viele zu ihren Vorlieben passende Orte und Geschäfte vorschlagen, an denen sie gleich vorbeilaufen. Erste Verträge mit Handelsunternehmen hat Dixon geschlossen, mit wem, sagt er nicht, das würden seine Kunden nicht erlauben. Aber so viel könne er verraten, ein groÃer Buchhändler und ein populäres Reiseunternehmen seien darunter.
Alles, was den Kaufimpuls verstärkt, ist hochwillkommen.
6. Die Grenzen der Globalisierung â Wie die Abhängigkeit vom Netz unseren Wohlstand bedroht
Wer in der Morgendämmerung über die achtspurige Stadtautobahn von Seattle fährt, ein Labyrinth von Tunneln und geschwungenen Brücken zwischen Bürotürmen aus Stahl und Glas, erhascht an einigen Stellen einen spektakulären Blick auf den Seaport. Die Hauptstadt des Bundesstaates Washington ist um eine Reihe Buchten herum gebaut, und ihr verwinkelter Seehafen gehört zu den gröÃten Containerumschlagplätzen der Welt. So früh am Morgen spiegeln sich im Wasser die Lichter der Hafengebäude und Schiffe; grellrot gestrichene Ladekräne thronen am fernen Ufer über Stapeln von Containern.
So sehen Knotenpunkte der Globalisierung aus â der alten Art. In der Wirtschaftsentwicklung der vergangenen dreiÃig Jahre, der Ãra der »Turboglobalisierung«, spielten solche Häfen eine ganz wesentliche Rolle. Die Transportpreise fielen zeitweise drastisch, was nicht zuletzt an der rasanten Fortentwicklung der Containertechnik lag, an automatischen Verladekränen und Logistiksystemen. Auch Transportflüge wurden billiger, das Fernmeldewesen machte schnelle Fortschritte, gesetzliche Handelsschranken fielen und vieles mehr. Produkte und Zwischenprodukte werden seither wie auf einem Karussell um die ganze Welt verschifft. An Knotenpunkten wie dem Seaport of Seattle läuft
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