Zeitbombe Internet
holt Schmandt nun einen GPS-Message-Sender, den er beim Wandern immer bei sich trägt. So hat er auch einmal in einer Gerölllandschaft sein Portemonnaie wieder gefunden, erzählt er begeistert. Er sei einfach exakt seine GPS-Spur zurückgegangen und habe den Geldbeutel so mitten im Nichts geortet. »Hat keine halbe Stunde gedauert.« Keine Frage, Schmandt liebt die Technik und ist ein Optimist.
Aber Schmandt ist auch Familienvater, Ehemann, Freund. Und als solcher warnt er vor der Technik, die er mitentwickelt hat und dann jenseits des MIT zu Massenprodukten hat reifen sehen, vor Apple, Facebook »und dem ganzen Mist«. Für ihn wird es an dem Punkt »kritisch und interessant«, wo es um die Frage geht, »wer bekommt diese ganzen Informationen â und wer kontrolliert sie«.
Spätestens mit den Smartphones hätten die Menschen ihr Leben unwiderruflich mit den Supercomputern verwoben, so Schmandt. Und die entscheidende Frage sei, wie sie in den kommenden Jahren den Ãberblick über die Technik behalten, und zwar nicht nur IT-Genies, sondern der durchschnittliche Bürger. Schmandt sagt dazu: »Im Moment kann man noch die Kontrolle über seine Daten behalten, aber man muss dazu ziemlich smart sein. Und auf Dinge verzichten können. Ich tue das, aber meine Kollegen und Freunde erzählen mir von all den Diensten, die sie nutzen, und wie nützlich und toll die seien. Es ist eine Kosten-Nutzen-Frage. Und ich sehe inzwischen oft die Kosten.« Man verliert einfach ein groÃes Stück seiner Autonomie, weil man nicht mehr überblicken kann, wer wo etwas speichert.
Aber nicht nur das: »Wenn das System ausfällt oder einen Fehler hat, geraten Menschen in Schwierigkeiten! Wir sind schrecklich, schrecklich verwundbar, weil wir alle diese Dienste nutzen. Wir hängen davon ab.« Schmandt muss gar nicht
mehr sagen. Datenskandale füllen wöchentlich die Zeitungen, Onlinedienste und Fernsehsendungen: Microsoft verliert Daten von Mobilfunkkunden. Google-Handys werden von Viren heimgesucht. Amazon vernichtet aus Versehen die Daten von Firmen, die viel Platz in der »Cloud« angemietet haben.
Was machen Supercomputer aus dem Menschen?
Die Menschen haben einige ihrer gröÃten Industrien um Supercomputer, das Internet und ihr Zubehör errichtet. Sie holen Silizium aus der Erde, verwandeln Rohöl in Kunststoff, stellen Milliarden Chips, Bildschirme und andere Hightechprodukte her, errichten weltweite Entwicklungs- und Lieferketten, erfinden globale Werbekampagnen und schaffen weltweite Handelsorganisationen, um alle mit dieser Technik zu versorgen und zu verbinden. Die Supercomputer fordern unfassbar viel Kreativität und Arbeitskraft.
An dieser Stelle meint der Publizist und Techniksoziologe Kevin Kelly, es sei einmal an der Zeit, die Perspektive zu wechseln, und genau das tut er in seinem jüngsten Buch. Darin fragt er nicht, was die Menschen nun alles mit den Computern anfangen, sondern was ein so enormes System wie die Informationstechnik, alle Hard- und Software des Planeten zusammengenommen, vom Menschen verlangt: What Technology Wants, fragt er. Was machen diese Supercomputer mit uns? Zu welchem Verhalten bewegen sie uns?
»Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft schon versteht, was es heiÃt, wenn alles zugänglich, erfahrbar und von allen und zu jeder Zeit gespeichert werden kann«, sagte Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt noch im Sommer 2010 dem Wall Street Journal. Und deshalb soll dieses Kapitel zum Abschluss drei Aspekten nachgehen. Sie drehen sich um einen Verlust an Autonomie, weil Menschen die Ãbersicht verlieren, um eine wachsende Abhängigkeit von dieser Technik im Alltag und zuletzt um eine psychische Veränderung, die bei Menschen zu beobachten ist. Das »System« macht das Leben leichter,
reicher, angenehmer â wenn es funktioniert. Aber: Indem es funktioniert, manipuliert es. Tausende von Programmierern und ihre Algorithmen verändern das Leben der Menschen, und diese haben es nicht mehr unter Kontrolle, nach welchen Regeln die Supercomputer mit ihnen kommunizieren, ihnen Werbung schicken, ihnen Informationen zuteilen. Deshalb stehen die ersten Menschen an der Schwelle, von Computern und Software beherrscht zu werden. Ganz subtil. Ohne böses Genie im Hintergrund. Und doch einschneidend.
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Autonomieverlust: Er ist offensichtlich. Er beginnt damit, dass praktisch niemand weiÃ, wer etwas
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