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Zeitbombe Internet

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Titel: Zeitbombe Internet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fischermann
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alles zusammen.
    Doch wie gesagt: Das ist die alte Art der Globalisierung. Seattle ist ein Ort, an dem sich auch die neue Art des weltweiten Wirtschaftens besichtigen lässt. Zehn Minuten die Stadtautobahn 99 entlang, und man landet in einem Viertel voller ehemaliger Lagergebäude. Ein großes Stoffschild an einem Gebäude wirbt für »Kreative Workspaces«, man kann sie mieten. Ein karg dekoriertes Café verkauft zwischen Backsteinwänden Prosciutto-Feigen-Sandwiches an eine verschlafene Yuppie-Klientel in Turnschuhen.

    Gegenüber: Der Eingang zum Konzerngebäude von Amazon. com. Das ist der größte Onlinebuchhändler der Welt, den man aber nicht mehr so nennen sollte. Amazon verkauft längst nicht mehr nur Bücher, sondern auch Filme, Musik, Autoteile, Elektronik, Medizin, Kleidung und überhaupt so ziemlich alles, was in den Häfen der Welt angelandet wird. »Willkommen, Amazonier«, steht auf dem Schild. Blanke Glühbirnen hängen im Empfangssaal herab, ein Zeichen sowohl für rauen Chic wie für Sparsamkeit. Man sitzt auf Hartschaumwürfeln in schwarz und rot, bis das vereinbarte Treffen beginnt.
    Es geht bei dem Gespräch um ein wenig bekanntes Vorhaben von Amazon: Der Großhandelskonzern will nebenbei auch noch eine Revolution der Weltwirtschaft auslösen. Er möchte sich selber zum Knotenpunkt einer neuen Ära der Globalisierung machen, die noch flexibler und noch profitabler ist, als die Turboglobalisierung es je war.
    Es geht darum, dass ohne eine effiziente Datenverwaltung, ohne die gewaltige Rechenleistung in Computerzentralen, nichts mehr geht in der heutigen Wirtschaft. Manche Großkonzerne, die sehr viel mit Daten umgehen, zum Beispiel Versicherungen oder Internetprovider oder Supermarktketten mit ihrem aus aller Welt herangeschafften Warenangebot, unterhalten heute wahre Monster von Rechenzentren – mit eigenen Kraftwerken, Kühlanlagen, Transformatoren, Wasserkreisläufen. Digitale Heiligtümer. Zentrale Quelle des Geschäftserfolges. Für viele Unternehmen Existenzgrundlage.
    Die Sache ist aber auch sehr teuer. Bei Amazon sagen sie deshalb, so ein Rechenzentrum zu betreiben, das sei für viele Firmen viel zu teuer und unflexibel und obendrein noch schädlich für die Umwelt. Amazon, das selber gigantische Rechenzentralen an größtenteils geheimen Orten betreibt (siehe Kapitel 5), hat deshalb seinen neuen Dienst begründet: AWS. Amazon Web Services. Jeder Unternehmer und überhaupt jeder Mensch mit einer Kreditkarte kann heutzutage Rechenleistung und Speicherplatz bei Amazon anmieten. Vom Speicherplatz, der auf einer kleinen Festplatte unterzubringen
wäre, bis hin zum Supercomputer à la NASA oder einem Rechenzentrum, das für Großkonzerne ausreicht.
    Mit anderen Worten: Amazon stellt die Knotenpunkte der neuen Wirtschaftsordnung bereit – schlüsselfertig und zum Mieten. Die Sache ist schon heute ein Erfolg. Amazon berichtet, dass der neue Geschäftsbereich explosionsartig wachse. »Hunderttausende von Kunden«, und Analysten schätzen den Umsatz mit diesen Diensten auf 750 Millionen Dollar im Jahr, mit rasant steigender Tendenz. Eine ganze Reihe bekannter Unternehmen käme ohne die Dienste von AWS nicht mehr aus: Dazu gehört die in den USA beliebte Videoverleihfirma Netflix, bei der man Filme leihen kann, die das Unternehmen dann bei Bedarf übers Internet ins Wohnzimmer beamt. Washingtoner Behörden nutzen die virtuellen Großrechner von Amazon. Biotech-Firmen, die für die Entschlüsselung von DNA-Sequenzen sehr viel Rechenpower benötigen, sind dabei. Wall-Street-Banken, die auf den Servern von Amazon ihre gesamten Kundendaten ablegen. Die spanische Bankengruppe Bankinter und der Telefontechniklieferant Ericsson, die britische Guardian-Mediengruppe und die European Space Agency (ESA). Und Hunderte kleiner Internetstartupfirmen vom Silicon Valley bis Berlin.
    Â»Dreißig bis vierzig Jahre lang hat die Menschheit ihre Informationsverarbeitung nach dem immer gleichen Modell erledigt«, sagt Adam Selipsky, der bei AWS für das Produktmanagement zuständig ist. »Jetzt entsteht ein ziemlich radikal neues Modell.«
    Selipsky hat dunkle schwarze Locken, holt beim Sprechen weit mit beiden Armen aus und trägt ein reichlich irritierendes Hemd aus lauter unterschiedlichen blauen und blauschwarzen Streifen. Wahrscheinlich fällt das nur deshalb so ins Auge,

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