Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
dem Finger am Bein. Wilhelm bemerkte beklommen, dass sie bis auf eine kurze Schürze unbekleidet waren, auch die Frauen. »Sie kennen hier jeden Weißen«, rief ihm der Freiherr zu, »aber dich kennen sie noch nicht. Mach dir nichts draus, sie sind harmlos und neugierig wie die Kinder.«
Plötzlich entfernten sie sich von ihm und liefen an den Straßenrand zurück, als sie bemerkten, dass Aiauschi, der vorausgegangen war, sich umgedreht hatte, um zu sehen, ob der Tross noch beieinander war. Aiauschi sah von einem zum anderem, bis sein Blick an Wilhelm hängenblieb, der spürte, dass dieser Mann nicht mehr derselbe war wie der, den er in Berlin gekannt hatte. Er lehnte sich in seiner Hängematte zurück und nahm den Stein zwischen die Finger, den er in der Hosentasche bei sich trug. Ein Gefühl der Sicherheit breitete sich in ihm aus, er schloss die Hand um den Stein und drückte ihn.
Für den Abend war ein Festessen im Haus des Gouverneurs ausAnlass seiner Rückkehr geplant. Die Repräsentanten der Handelsgesellschaften, Reedereien und Banken, die entlang der Hamburger Straße ihre Firmensitze hatten, waren geladen samt ihren Gattinnen, sofern diese ebenfalls im Lande weilten. »Wir haben noch nicht so lange die Freude, dass die Damen uns Gesellschaft leisten«, erklärte der Vater, als sie am Nachmittag im blühenden Garten des Gouverneurs ein paar Schritte taten. Wilhelm hatte mehrere weiße Leinenanzüge in seinem Zimmer vorgefunden, einige mit kurzen Hosenbeinen und Ärmeln, andere mit langen. Er hatte sich für lang entschieden, bedauerte dies aber bereits: Der Schweiß lief ihm die Kniekehlen herunter. Sein Vater trug kurze Hosen und weiße Kniestrümpfe. Zusammen mit dem Tropenhelm, den er sich aufgesetzt hatte, erinnerte er Wilhelm an einen Schauspieler, den er kürzlich in Berlin in einem Kinofilm über die Eroberung Afrikas gesehen hatte.
»In unseren Anfangsjahren war dies hier eine reine Männergesellschaft«, fuhr der Freiherr fort, »man war in Berlin der Meinung, dass die schwüle Hitze jeden Gedanken an das andere Geschlecht ausschließen würde.« Als er eine nachdenkliche Pause machte, sagte Wilhelm: »Darf ich raten?« Der Freiherr nickte.
»Das Gegenteil war der Fall«, sagte Wilhelm.
Sein Vater warf ihm einen amüsierten Blick zu. »So ist es. Es kam und kommt immer noch zu – sagen wir mal – Begegnungen zwischen unseren Männern und einheimischen Frauen. Im letzten Jahr gab es sogar drei Hochzeiten. Der Kaiser ist empört. Er hat uns beauftragt, die Verkafferung der Weißen, wie er es nennt, zu unterbinden. Daraufhin haben wir ein Einwanderungsprogramm für weiße Frauen aufgelegt, ledige weiße Frauen, die hier als Krankenschwestern oder Bürokräfte arbeiten. Unsere Männer sind begeistert. Außerdem hat der eine oder andere, der für längere Zeit hier ist, seine Ehefrau nachgeholt.«
»Haben Mutter und Sie das je erwogen?«
Der Vater schüttelte den Kopf und schlug mit seinem Bambusstock nach einem Palmenwedel, der über dem Kiesweg hing. »Nein, wir wollten unsere Kinder nicht hier aufwachsen lassen. Und seit ich im Kolonialamt bin, verbringe ich ja mehr Zeit imReich als in den Kolonien. Obwohl es so aussieht, als könne sich das wieder ändern, wenn man die politische Entwicklung beobachtet«, sagte er sorgenvoll.
Sie sahen Aiauschi aus einem Seiteneingang des Gebäudes treten und einem der Träger Anweisung für die Verteilung des Gepäcks geben. Der Freiherr stieß Wilhelm an und nickte mit dem Kopf in Richtung auf seinen Diener. »Ich habe ihm gesagt, er soll dich mit dem Ort und der Umgebung vertraut machen«, erklärte er. »Du sollst dir dein eigenes Bild vom Land und den Menschen machen. Du wirst ihn in den nächsten Tagen also näher kennenlernen. Ich will nicht viel vorwegnehmen, nur so viel: Aiauschi genießt großen Respekt bei seinen Landsleuten. Er ist ein Enkel von Aiauschi Agbano, dem ehemaligen König des Landes, der mit den Deutschen das Schutzabkommen ausgehandelt hat, welches Togoland überhaupt erst zu unserer ersten Kolonie werden ließ, übrigens lange nachdem die anderen Mächte Afrika schon fast vollständig unter sich aufgeteilt hatten. Das haben wir Bismarck zu verdanken, der meinte, es gäbe Wichtigeres als Kolonien, zum Beispiel Krankenversicherungen für die Arbeiter«, lachte er bitter. »Offiziell haben wir bis heute keine Kolonien, wir sind lediglich Schutzmacht, die die Bewohner vor Überfällen anderer Mächte oder feindlicher Stämme schützt.
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