Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
auf Holzbänken etwa fünfzig Jungen in kurzen Hosen, vor ihnen stand ein stattlicher Schwarzer, hinter dem ein kleiner, dünner Weißer mit Kaiser-Wilhelm-Bart auf einem Sessel unter einer deutschen Flagge saß und den Unterricht beobachtete.
»Unsere Schule«, erklärte Aiauschi, als Wilhelm stehen geblieben war. Wilhelm glaubte einen gewissen Stolz herauszuhören und drehte sich zu Aiauschi um: »Hast du hier unsere Sprache gelernt?«
»Hier habe ich viel gelernt, auch die ersten Worte Ihrer Sprache. Aber dann hat mir Ihr Herr Vater Privatunterricht erteilen lassen, um mich auszubilden zu seinem Sekretär.«
»Du bist sein Sekretär?«
»Als er noch Vize-Gouverneur war, ja. Danach habe ich seinem Nachfolger gedient, und nun habe ich die Ehre, in Berlin wieder bei ihm sein zu dürfen.«
»Was lernen die Kinder sonst noch?«, fragte Wilhelm und wandte sich wieder der Schulklasse zu.
»Vor allem Sauberkeit, Sittsamkeit und Ordnung. Sie müssen sich jeden Tag waschen und morgens ihre Hände vorzeigen. Es sterben heute viel weniger Kinder an Krankheiten als früher.«
In diesem Moment ertönte ein lautes Klingeln hinter ihnen. Als Wilhelm sich umdrehte, sah er eine kleine Lokomotive eingehüllt in eine weiße Rauchwolke in der Mitte der Straße herandampfen, die mehrere offene Loren zog. »Sie transportiert die Güter, die mit dem Schiff gebracht wurden, mit dem auch Sie gestern gekommen sind«, sagte Aiauschi.
Der Zug hielt vor einem Geschäftsgebäude, aus dem sofort mehrere Schwarze gelaufen kamen, die Pakete und Kartons abluden und hineintrugen. »Sehr praktisch« sagte Wilhelm mehr zu sich selbst.
»Die ganze Stadt ist sehr praktisch«, erläuterte Aiauschi. »Sie ist vollkommen quadratisch, alle Straßen verlaufen im rechten Winkel zueinander. Die großen von West nach Ost, so dass der Seewind hindurchwehen kann. Das hilft gegen die Hitze.«
Aus einem Haus gegenüber trat ein älteres Paar in Ausgehkleidung, der Mann im Frack, die Frau im weinroten langen Samtkleid. Beide hielten bunte Regenschirme in den Händen, um sich damit vor der Sonne zu schützen. Es waren Schwarze. Aiauschi folgte Wilhelms Blick und sagte leise: »Es leben auch wohlhabende Neger hier, Häuptlinge von Stämmen, die besonders viele Arbeiter zur Verfügung stellen. Einige der Häuptlinge sind reich und haben Häuser wie die Weißen.«
Das Paar näherte sich, der Mann zog seinen Hut, die Frau wedelte mit einem Fächer. Aiauschi sagte etwas zu ihnen in einerSprache, die Wilhelm nicht verstand. Nachdenklich ging er weiter. Als Aiauschi wieder zu ihm aufgeschlossen hatte, fragte Wilhelm: »Also alles in bester Ordnung hier in Togoland?«
Aiauschi antwortete nicht.
*
Zum Abendessen fand sich erneut eine größere Gesellschaft im Gouverneurssitz ein, Geschäftsleute, die gleichfalls gestern mit dem Schiff gekommen waren. Mit ihnen hatte der Freiherr tagsüber konferiert, nun klopfte er Wilhelm gut gelaunt auf die Schulter: »Ja, hier braucht man einen guten Magen, mein Sohn!«, sagte er, »ein Festessen pro Tag ist Minimum. Aber du darfst dich jederzeit zurückziehen, wenn dir danach ist. Du wirst sicherlich ermüdet sein von den Eindrücken deines ersten Tages in Lomé.«
Wilhelm wollte etwas erwidern, als sein Vater im Türrahmen Aiauschi entdeckte. »Wir reden morgen weiter«, sagte er zu Wilhelm und ging zu Aiauschi hinüber. Wilhelm sah, dass er lange auf ihn einredete, ehe er sich den eintreffenden Gästen zuwandte und Aiauschi das Haus verließ.
In dieser Nacht brüllten die Krokodile noch lauter als in der vorherigen, und im Traum erschien Wilhelm nach längerer Zeit wieder der schwarze Mann im Frack mit dem Knochen in der Nase. Trotzdem war er am Morgen weniger zerschlagen als am Tag zuvor, er sah dem nächsten Ausflug mit Aiauschi voller Erwartung entgegen.
Doch am Morgen war von Aiauschi nichts zu sehen. Wilhelm frühstückte lange und setzte sich dann in den Garten, um einen Brief an seine Mutter zu schreiben. Aiauschi erschien erst gegen Mittag und erklärte, dass er für den Freiherrn Erkundigungen zu machen gehabt hätte. »Davon weiß ich nichts«, entgegnete Wilhelm. »Was für Erkundigungen?« Aiauschi sah zu Boden und zuckte die Schultern. »Entschuldigen Sie«, sagte er nur, »dass Sie warten mussten.« Dann deutete er auf das Tor. »Der Wind hat nachgelassen, das heißt, dass auch der Regen erst in ein paar Tagen kommt. Wir sollten unsere Stadtführung fortsetzen.«
Sie gingen durch fast menschenleere
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