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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Deshalb ist es so wichtig, dass an unserer Fähigkeit, ihnen diesen Schutz zu gewähren, keine Zweifel aufkommen. Die Neger haben sich zwar mit uns arrangiert, aber sie würden uns natürlich am liebsten von hinten sehen, das ist klar.«
    Als er Wilhelms erstaunten Blick sah, fügte er hinzu: »Man muss Realist sein, wenn man Erfolg haben will. Und deshalb solltest du wissen, was Bismarck damals umgestimmt hat. Es war ein einziger Satz des Geheimrats von Schlieffen: Exzellenz, wohin soll das Reich denn seine missratenen Söhne schicken, wenn wir keine Kolonien haben?«
    Wilhelm blieb stehen und sah ihn verdutzt an. »Damit bist nicht du gemeint«, lachte der Freiherr, »bei Gott nicht. Aber man muss wissen, dass in diesen Ländern nicht gerade die Eliten des Reiches tätig sind. Nein, wirklich nicht …«, sagte er sinnierend.»Jetzt ruh dich vor dem Empfang heute Abend noch ein wenig aus. Morgen hast du einen anstrengenden Tag vor dir!« Er klopfte Wilhelm auf die Schulter.
    *
    Drei Dinge bereiteten Wilhelm eine unruhige erste Nacht in Afrika. Zum einen das schwere Essen zu später Stunde, zum anderen die schwül-feuchte Luft, die in allen Räumen des Hauses hing und die nahende Regenzeit ankündigte. Und dann dieses markerschütternde Gebrüll, das aus der Ferne herüberwehte.
    Aiauschi, der ihn vor der Frühstücksterrasse erwartete, als Wilhelm am Morgen die breite Freitreppe des Gouverneurspalastes herunterkam, sah ihm die Übermüdung an und lächelte, als er ihn mit einer tiefen Verbeugung begrüßte. »Die Krokodile?«, fragte er. Wilhelm sah sich fragend um. Aiauschis Lächeln wurde breiter. »Heute Nacht, das Gebrüll«, fügte er hinzu. »Das waren die Krokodile. Sie wissen, wann der große Regen kommt und begrüßen ihn auf diese Weise. Denn er füllt ihre Flüsse mit Wasser, die jetzt fast ausgetrocknet sind.«
    »Wieso sprichst du unsere Sprache so gut?«, fragte Wilhelm.
    »Wenn Sie erlauben, erzähle ich Ihnen das später, nachdem Sie gegessen haben. Jetzt wünsche ich Ihnen erst einmal guten Appetit, Ihr Tisch ist gedeckt. Ich warte vor dem Haus.«
    Als Wilhelm die Terrasse betrat, stutzte er und sah sich nach anderen Frühstücksgästen um. Obwohl das Büfett bestückt war wie für eine mittelgroße Gesellschaft, war nur ein Platz eingedeckt. Ein in Livree gekleideter, dunkelhäutiger Diener näherte sich ihm und deutete auf den Platz. Als Wilhelm sich gesetzt hatte, brachten zwei einheimische Frauen Kaffee, Tee und verschiedene Säfte. Dann trat der Livrierte an den Tisch und sagte: »Die anderen Herrschaften sind schon fertig, sie arbeiten bereits im Konferenzraum.« Wilhelm sah verwundert auf – auch dieser Mann sprach perfekt deutsch. Wilhelm nickte und ließ sich Brot und Aufschnitt servieren. Während er aß, blickte er von der Terrasse über den Garten und die weiße Mauer, die das Grundstück umgab, bis zur Straße. Vor dem schmiedeeisernen Tor stand Aiauschi.
    Wilhelm beobachtete diesen seltsamen Mann in seiner europäischen Kleidung, der von den Menschen, die vorübergingen, respektvoll gegrüßt wurde und der höflich und freundlich den Gruß erwiderte. Die meisten Eingeborenen, die Wilhelm sah, waren nahezu unbekleidet, viele hatten Tätowierungen am Körper.
    Wind kam auf, bog die Palmen im Garten und trieb Sandwolken über die Wilhelmstraße, als Wilhelm sich erhob und über den gepflasterten Weg zum Tor ging. Als Aiauschi ihn bemerkte, winkte er Träger mit einer Hängematte herbei, die in Sichtweite gewartet hatten. »Nein, nein«, wehrte Wilhelm ab, »das ist nicht nötig, ich werde gehen. Ich brauche Bewegung.«
    »Und sie brauchen Geld«, erwiderte Aiauschi, »Träger ist eine der begehrtesten Arbeiten …«
    »Dann gib’ ihnen welches, aber ich werde zu Fuß gehen. Zeig mir Lomé«, sagte Wilhelm, und fügte hinzu: »Bitte.« Obwohl es ihm nicht recht war, einen Aufpasser zur Seite zu haben, wollte er nicht unhöflich sein.
    »Sie brauchen nicht zu bitten«, entgegnete Aiauschi und deutete mit dem Arm in die Richtung, die sie einschlagen würden. Wilhelm bemerkte eine Gruppe Frauen und Kinder, die sie von der anderen Seite der Straße beobachteten. Als er zu ihnen hinübersah und lächelte, hielten sie sich kichernd die Hände vor den Mund und liefen davon.
    Das Erste, was Wilhelm hörte, als sie von der Bismarckstraße in die Hauptstraße Lomés einbogen, waren Kinderstimmen: »Dem Kaiser sei mein erstes Lied …«, sangen sie. Und dann sah er sie: Unter freiem Himmel saßen

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