Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Frankreich. Man ahnt nichts Böses, und dann fallen sie einem in den Rücken – Partisanen mit Jagdflinten und Schrotgewehren …!«
»… oder MGs wie heute«, ergänzte Robert. »Die Zeit ist nicht stehengeblieben.«
»Partisanenkampf«, sagte der Funker und nickte. »Wir haben noch keinen einzigen belgischen Soldaten zu Gesicht bekommen – aber sie waren immer schon vor uns da und zerstören die Nachschubwege. Und von hinten stoßen die Franctireure nach, wenn man sich in Sicherheit fühlt. Das ist doch kein aufrechter Kampf!« sagte er empört.
Der Hauptmann ließ die Abteilung auf einer Waldlichtung antreten. »Männer«, sagte er, »was heute geschehen ist, war nur ein Anfang. Wir dürfen keinem der Belgier mehr trauen – Kinder, Frauen, Greise: Jeder kann zur Gefahr werden! Aber unser Ziel bleibt unverändert: So schnell wie möglich Belgien überwinden, und dann geht es endlich gegen Frankreich! Eine Million Männer folgen uns, und täglich werden weitere Soldaten an die Grenzen gebracht. Wir sind die Speerspitze, wir bahnen ihnen den Weg. Und dabei wird uns niemand aufhalten!«, rief er begeistert.
Er wartete einen Augenblick, dann bellte er: »Warum höre ich nichts?«
»Hurra! Hurra! Hurra!«, riefen die Männer und stießen ihre Gewehre in die Höhe.
»Na also, es geht doch! Der Belgier wird uns noch kennenlernen …!«
*
»Glaubst du, das Mädchen hat gewusst …«, fragte Robert, als sie auf dem weichen Waldboden lagerten.
»Frag nicht!«, unterbrach Wilhelm ihn, »wir werden es nicht mehr erfahren.«
»Ob es noch lebt?«
Wilhelm holte tief Luft, doch bevor er antworten konnte, trat der Bursche des Hauptmanns auf ihn zu. »Von Schwemer – der Hauptmann wünscht Sie zu sprechen! Folgen Sie mir.«
»Von Schwemer«, sagte der Hauptmann, nachdem Wilhelm sein Zelt betreten hatte, »Sie brechen sofort auf! Sie werden diese Depesche dem Stabschef der Infanterie überbringen, er muss sie noch heute Nacht erhalten. Sein Quartier dürfte etwa fünfzig Kilometer zurück liegen. Ich erwarte Sie vor dem Morgengrauen zurück mit einer Antwort. Wegtreten!«
Der Bursche händigte Wilhelm einen versiegelten Umschlag aus. »Ein frisches Pferd steht für Sie bereit«, sagte er.
Während der ersten Stunde ritt Wilhelm dicht am Rand des Waldes entlang, dann musste er die Hauptstraße in Richtung Osten nehmen. Schon nach wenigen Kilometern kam ihm deutsche Infanterie entgegen, von der belgischen Bevölkerung war niemand zu sehen. Stattdessen schlugen Flammen aus Hausdächern. In Tamines, dem kleinen Ort, wo sie am Mittag auf dem Marktplatz Wasser für ihre Pferde bekommen hatten, lag jetzt neben dem Brunnen ein Toter. »Sie benutzen Kinder als Schutzschilde«, sagte unvermittelt eine Stimme neben ihm, während Wilhelm seinen Blick über den verwüsteten Ort gleiten ließ. »Gehörst du zum Vierten?«
Wilhelm sah hinunter, neben seinem Pferd stand ein Soldat ingrauer Uniform, die vollständig mit Asche und Schmutz überzogen war.
»Was ist hier geschehen?«, fragte Wilhelm.
»Ob du zum Vierten gehörst, will ich wissen.«
Wilhelm nickte.
»Ihr wart die Ersten hier, stimmt’s? Seid überall durchgeritten und habt nichts gemerkt? Überall lauerten sie – Franctireure!« Er deutete auf den Toten vor dem Brunnen. »Ihr solltet das Gebiet sauber halten, das elende Gesindel aufspüren und ausschalten! Wozu haben wir euch denn überhaupt, ihr Kasper in euren affigen Uniformen?« Mit einer wegwerfenden Handbewegung wandte er sich ab. »Husaren!«, sagte er im Gehen. »Wer braucht denn die noch? Alles muss man selber machen.«
Wilhelm erreichte das Hauptquartier kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Man erwartete ihn, sein Kommen war telegrafisch angekündigt worden. Er wurde zum Adjutanten des Generals geführt, der den Brief entgegennahm und ihm ein Schreiben für seinen Bataillonskommandanten reichte, das er mitnehmen sollte. Es war ein Besuch von weniger als einer Minute. Als Wilhelm salutierte und zu seinem Pferd zurückgehen wollte, rief ihn der Adjutant zurück.
»Ich möchte sie entre nous etwas fragen, Sie brauchen nicht zu antworten, Herr Leutnant«, sagte er mit gedämpfter Stimme und fasste Wilhelm am Arm. »Niemand macht Ihnen einen Vorwurf, aber: Wie konnte das passieren? Wieso hat niemand etwas gesehen in dem Dorf heute Morgen? Sie wissen, was dort passiert ist, als die Infanterie nachrückte?«
»Nicht genau«, entgegnete Wilhelm, »was ist denn passiert?«
»Sie wurden beschossen, von allen
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