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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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französischen Stellungen zu sehen, die die Brücke beschossen hatten.
    Die Einwohner des Ortes begegneten den Deutschen zu deren Überraschung mit zurückhaltender Höflichkeit, sie stellten ihnen Lebensmittel und Unterkünfte zur Verfügung. Die Infanteristen nächtigten in einem leerstehenden Schulgebäude, die Husaren wurden in einer ehemaligen Burg untergebracht. Hauptgesprächsthema der Männer war der überaus schnelle Vormarsch der Truppen: Nach Lüttich war Brüssel im Handstreich genommen worden, die Stadt Löwen war als Vergeltung für Partisanenangriffe vollständig zerstört worden, derzeit wurde Antwerpen, in das sich der belgische König geflüchtet hatte, von Zeppelinen aus bombardiert. Der geplante Durchmarsch bis zur Nordsee allerdings verzögerte sich immer wieder, da die Belgier die Schleusen öffneten und das Vorland unter Wasser setzten. Hunderte deutscher Soldaten ertranken. Als Strafaktion verboten die Besatzer im ganzen Land das Läuten der Kirchenglocken. Pfarrer, die sich nicht daran hielten, wurden hingerichtet.
    »Wenigstens hier bei uns ist es ruhig, die Leute sind doch erstaunlich freundlich, oder? Als hätten sie keine Ahnung, was sonst im Land geschieht«, sagte Robert, als er mit Wilhelm am Marktplatz unter einem Denkmal des belgischen Königs saß. Aus Bistros rings umher war Stimmengewirr und Lachen zu hören. »Sie trinken sogar ihren Wein zusammen mit den Unseren, was will man mehr«, fügte er hinzu. »Und ich weiß auch, warum: Sie sind heilfroh darüber, dass wir hier sind und nicht die Franzosen! Sie wissen ganz genau, was passiert wäre, wenn wir denen nicht zuvorgekommen wären. Eigentlich müssten sie uns dankbar sein, oder was meinst du?«
    »Ich weiß nicht«, entgegnete Wilhelm, »ich glaube, man ist am dankbarsten, wenn man in Ruhe gelassen wird, egal von wem.«
    Die Tür einer Gaststätte öffnete sich, und ein Trupp deutscher Soldaten kam lärmend heraus, Gewehre und Weinflaschen schwenkend. Als sie Robert und Wilhelm am Sockel des Denkmals sahen, blieben sie stehen. »Hey, ihr Schaufensterpuppen, verschwindet mal da, sonst rieselt gleich der Putz auf euch herunter!«, rief einer unter dem schallenden Gelächter der anderen. Er legte sein Gewehr an und zielte auf das Reiterstandbild. »Der hat doch ’ne viel zu lange Nase, die muss jetzt endlich mal gekürzt werden. Findet ihr nicht?«
    Begeisterte Zustimmung folgte, der Soldat rief noch einmal: »Los, weg da jetzt, sonst könnten eure schönen Uniformen beschmutzt werden!«
    In das johlende Gelächter hinein krachte der Schuss, der das Denkmal weit verfehlte. Stattdessen zersplitterte in einem Haus gegenüber eine Fensterscheibe.
    »Oh, oh!«, rief der Schütze, »wir haben viel zu selten besoffen schießen geübt. Nüchtern kann’s jeder, aber besoffen …« Er legte erneut an. Diesmal traf er. Die Kugel schepperte gegen den Leib des Bronzepferdes und fiel zu Boden.
    »Jetzt reicht es!«, sagte Wilhelm und ging mit schnellen Schritten entschlossen auf den Schützen zu. »Welche Kompanie? Wie heißen Sie?«
    »Lassen Sie nur, Herr Leutnant«, sagte eine Stimme hinter ihm, »wir werden uns um den Mann kümmern. Er ist einer dieser sturen Bayern, die keinen Wein vertragen. Ich werde ihn in Gewahrsam nehmen und zur Verantwortung ziehen.«
    Es war ein Feldwebel der Infanterie, der Wilhelm die Hand entgegenstreckte und sich vorstellte. »Huber, 3. Regiment. Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Ich möchte, dass dieser Mann zur Rechenschaft gezogen wird«, entgegnete Wilhelm, »ein solches Verhalten ist völlig untragbar.«
    »Natürlich!«, pflichtete Huber bei, »ganz Ihrer Meinung, Herr Leutnant! Übrigens: Mir hat diese Husarenuniform immer schon trefflich gefallen. Schmuck, wirklich, schmuck! Ich werde dieses Gesindel sofort aus Ihrem Blickfeld entfernen.«
    Er trat auf den Schützen zu, der ihn breit angrinste, fasste ihn am Arm und führte ihn fort.
    Die Männer grölten und lachten. Torkelnd verließen sie den Platz, ihre Weinflaschen wie zum Gruß in Richtung Wilhelm und Robert schwenkend.
    Die Tage verstrichen ereignislos, die Soldaten lösten sich mit der Sicherung der Brückenarbeiten ab, die Bewohner von Dinant schienen sich an die Anwesenheit der Deutschen zu gewöhnen. Frauen begannen damit, den Pionieren und Soldaten in der Mittagshitze frisches, kühles Wasser zu bringen. Sie stellten es in Kanistern im Schatten der Brücke ab. Eine von ihnen führte stets ihren kleinen Sohn mit sich, der ebenfalls einen

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