Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
Vom Netzwerk:
Seiten. Es müssen Hunderte gewesen sein – so viele Leute können sich doch nicht unsichtbar machen?«
    »Wer sagt denn, dass sie schon dort waren?«
    »Ist in den Häusern nachgesehen worden?«
    »Was hat mein Hauptmann auf diese Frage geantwortet? Wurde er befragt?«
    »Ich frage Sie , ich möchte es von Ihnen wissen! Wenn das nichtpassiert wäre, wäre alles anders verlaufen! Unsere Männer sind seitdem vollkommen panisch, sobald sich irgendwo eine Gardine bewegt, schießen sie, bis sich nichts mehr rührt. Außerdem haben wir jetzt die Engländer am Hals.«
    »Die Engländer?«
    »Sie haben uns den Krieg erklärt – wegen unseres Durchmarsches hier und wegen der Dinge, die im Laufe dieses Tages geschehen sind!«
    Wilhelm sah den Mann eine Weile lang an, dann sagte er leise: »Es wurde nicht nachgesehen.«
    Wilhelm kehrte nicht sofort zurück. In gestrecktem Galopp jagte er den Weg in entgegengesetzter Richtung, den seine Abteilung am Morgen gekommen war. Mit dem letzten Licht des Tages erreichte er das Dorf. Hatte die Morgendämmerung den Ort in ein weiches mildes Licht getaucht, so zeichnete die Abenddämmerung ein hart konturiertes Bild der rauchenden Trümmer. Keinen Stein hatte man auf dem anderen gelassen, in den Trümmerhaufen, die zuvor die Bauernhäuser gewesen waren, schwelte noch Glut, die vom Nachtwind hin und wieder entfacht wurde, der Geruch von verbranntem Holz und Fleisch lag über dem Gelände. Offenbar hatte man das Vieh nicht aus den Stallungen geholt, bevor die Flammenwerfer zum Einsatz kamen. Wilhelm sah die Einschlagtrichter der Geschosse rund um die Häuser. Es waren nicht viele. Die meisten mussten sehr zielsicher die Häuser getroffen haben, bevor die Soldaten das Dorf hermetisch abgeriegelt und jeden erschossen hatten, der aus der Feuersbrunst zu entkommen versuchte. Tote lagen überall, Soldaten waren nicht darunter. Wilhelm ging zwischen ihnen umher, er konnte kein Kind entdecken.
    Erst als er den Kopf hob, sah er sie: Wenige Meter vor ihm stand das Mädchen und sah ihn an. Ihre Haut war schwarz, ein Knochen steckte quer in ihrer Nase. Wilhelm schlug die Hände vors Gesicht und beugte langsam die Beine, bis er auf dem Boden kniete. Als er die Hände wieder herunternahm, war das Mädchen verschwunden.

S chützen
    Der weitere Vormarsch in Richtung Westen war beschwerlich, es gab kaum ein Durchkommen. Auf den Straßen herrschte Chaos, ganz Belgien schien auf den Beinen zu sein, mit Autos, Pferdefuhrwerken, Fahrrädern und Handkarren versuchten die Menschen, in die benachbarten Niederlande zu fliehen. Ziel der Husaren war Dinant, ein malerisches Städtchen am Ostufer der Maas, dessen einzige Brücke durch den Beschuss französischer Artillerie vom anderen Flussufer aus beschädigt worden war. Sächsische Pioniere sollten sie reparieren, Kavallerie und Infanterie waren zu ihrem Schutz angefordert worden. Während sie eine enge Brücke passierten, hatten sie alle Hände voll zu tun, ihre Pferde im Zaum zu halten, die vom Lärm und vom Trubel immer unruhiger wurden. »An derartige Menschenmassen sind sie nicht gewöhnt«, sagte Robert.
    »Ihr habt gut reden«, mischte sich ein Infanterist ein, der sich mit seiner Abteilung ebenfalls über die Brücke mühte. »Wir sind seit einer Woche auf unseren eigenen Füßen unterwegs, 140 Kilometer in vier Tagen. Und kein Nachschub in Sicht, wir müssen uns unsere Verpflegung selbst besorgen, von den Belgiern.«
    »Respekt!«, entgegnete Robert. »Und wohin jetzt?«
    »An die Grenze, den Zaun weiterbauen.«
    »Zaun?«
    Der Mann warf die Arme in die Höhe. »Mein Gott, in welchen Sphären schwebt ihr denn, ihr edlen Rittersleut’! Noch nichts gehört vom längsten Zaun der Welt? Die gesamte holländische Grenze entlang, vier Meter hoch, alles unter Strom!«
    »Wieso unter Strom?«, fragte Wilhelm.
    »Damit die Leute nicht rüberklettern. Dreihundert Kilometer – das hat es noch nie gegeben! Nur das letzte Stück, das fehlt noch, und da müssen wir jetzt hin. Meine Empfehlung, die Herren! Lassen Sie sich’s weiter gutgehen …« Damit verschwand er in der wogenden Menge.
    *
    »Hier müsste man wirklich mal Urlaub machen!«, schwärmte Robert, nachdem sie endlich Dinant erreicht hatten. »Sieh dir das an!« Robert und Wilhelm standen auf der alten Zitadelle, die auf einem Felsen hoch über dem mittelalterlichen Ort in den Himmel ragte, und blickten über die Landschaft. Weit unter ihnen am anderen Ufer des Flusses waren winzig klein die

Weitere Kostenlose Bücher