Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
ihm hierhergefahren statt mit Fitzjohn und säße jetzt nicht in dieser Patsche!
Mit verengten Augen blickte ich den Hang hinunter in Richtung Straße. Im Laufen war ich nicht besonders gut, aber Mr Fitzjohn sah auch nicht allzu sportlich aus. Außerdem war er – zumindest optisch – mindestens doppelt so alt wie ich. In Wahrheit vielleicht sogar hundertmal. Auch wenn er übermenschliche Fähigkeiten besaß (ich wollte gar nicht wissen, welche!), müsste er mich erst mal schnappen.
Doch dann wurde mir klar, dass ich gar nicht ins Dorf laufen musste. Die Rettung wartete ganz in der Nähe. Oben zwischen den Felsen war ein Flimmern zu sehen, und von irgendwoher, wie aus sehr weiter Ferne, hörte ich José nach mir rufen.
»Hierher, Anna! Zum Tor!«
Zwischen den Monolithen war der Vollmond aufgegangen. Eingerahmt von einem der steinernen Tore, war er über der Hügelkuppe aufgetaucht. Sein bleiches Licht umfloss den Steinkreis und mischte sich mit dem Glühen des sich öffnenden Zeitportals. Ohne zu zögern spurtete ich darauf zu. Inmitten des Flimmerns sah ich auf einmal Josés schattenhafte Gestalt. Ich erkannte sogar sein Gesicht mit der schwarzen Augenklappe. Er wirkte erschöpft, aber in seinen Zügen spiegelte sich Hoffnung wider.
»Lauf schneller!«, schrie er und streckte vom anderen Ende der Zeit her die Hand nach mir aus. »Ich brauche dich hier! Ohne dich komme ich nicht durch!«
Ich gab mein Bestes, doch es war nicht genug. Und plötzlich veränderte sich Josés Gesichtsausdruck.
»Pass auf!«, rief er. Seine Stimme ging fast in dem Brausen und Heulen des Zeitstroms unter. Doch seine Warnung kam zu spät. Im nächsten Sekundenbruchteil sprang mich jemand von der Seite an. Ein massiver Körper prallte gegen mich und brachte mich zu Fall. Von dem heftigen Bodycheck wurde mir jeder Kubikzentimeter Luft aus dem Zwerchfell gepresst. Platt wie eine Flunder landete ich auf dem Rücken, und der Angreifer auf mir. Im Mondlicht sah ich dicht über mir hellblondes Haar und blitzende Zähne. Keine Frage, das war Bräutigam-Ken alias Reginald Castlethorpe. Er hatte mir hier aufgelauert, natürlich in Absprache mit Fitzjohn. Aber warum?
Dann verstand ich es, denn Fitzjohn war mir gefolgt und berührte mit ausgestrecktem Arm das Portal.
»Nein!«, hörte ich José noch von ferne rufen, aber das Tor brach bereits zusammen, es implodierte förmlich und verschwand zusammen mit José im Nichts, begleitet von einem gewaltigen Donnerschlag. Der darüber liegende Dachstein krachte unter der Druckwelle zu Boden. Erdklumpen flogen durch die Luft, einer davon traf Reginald an der Schulter und zerplatzte zu lehmigen Brocken, von denen mir einer oder zwei in den offenen Mund fielen.
Würgend und spuckend und unter Reginalds Gewicht fast erstickend begriff ich, was geschehen war. José hatte aus irgendwelchen Gründen das Tor nur öffnen können, weil ich in der Nähe war, während Fitzjohn genau auf diesen einen Moment gewartet hatte, um das Portal lokalisieren und zerstören zu können. Das letzte noch existierende Tor war weg, und es war allein meine Schuld.
Fifty-fifty, und ich hatte verloren.
»Schlag sie bewusstlos!«, rief Fitzjohn. »Schnell, sonst springt sie!«
»Ich habe eine bessere Idee. Ich bring sie um. Jetzt brauchen wir sie ja nicht mehr.« Reginald griff neben sich und packte einen Stein. Als er damit ausholte, knallte ich ohne groß nachzudenken meine Stirn so hart ich konnte gegen sein Kinn. Er ließ den Stein fallen und fuhr stöhnend zurück, und es gelang mir, ihn wegzustoßen und mich unter ihm hervorzurollen.
»Du Miststück, ich krieg dich noch«, brüllte Reginald, während ich mich hochrappelte und zwei Schritte zur Seite taumelte.
»Zu spät, du Idiot«, sagte Fitzjohn. Der Feuerschein der Fackel tauchte sein Gesicht in ein unheimliches Licht.
Reginald fletschte wutentbrannt die Zähne und machte einen Hechtsprung in meine Richtung.
Ich kniff fest die Augen zu und wünschte mich zurück zu Sebastiano. Im nächsten Augenblick verschwand die Welt in einem eisigen, tiefschwarzen Loch.
»Anna!«, hörte ich jemanden von weither meinen Namen rufen, gefolgt von einer Reihe italienischer Flüche, die wie Musik in meinen Ohren klangen. Auf diese Art und Weise fluchte nur ein einziger Mensch, den ich kannte, und das war Sebastiano. Es klang richtig nett, wenn er fluchte. Weniger nett waren die Ohrfeigen. Eine rechts, eine links, und dann noch eine, wieder rechts, diesmal etwas fester als die
Weitere Kostenlose Bücher