Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
Deutsch, Englisch oder Italienisch hin und her, je nachdem, wo wir gerade waren, aber in zärtlichen oder leidenschaftlichen Augenblicken passte Italienisch einfach am besten.
»Wir wollten doch die Notizen suchen«, gab ich zu bedenken, doch es klang halbherzig. Eigentlich hatte ich sehr viel Lust auf eine Modenschau bei Kerzenlicht.
»Ich glaube, die haben wir gerade eben gefunden.« Sebastiano wirkte verblüfft. Er bückte sich und hob ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf, das aus der Erstausgabe von Stolz und Vorurteil herausgerutscht sein musste, während ich so eifrig darin herumgeblättert hatte.
Er klappte das Blatt auseinander. »José kennt dich ziemlich gut. Offensichtlich hatte er nicht den leisesten Zweifel, dass du dich sofort auf dieses Buch stürzen würdest.«
»Na ja, ich hab ihm mal erzählt, dass ich ein Fan von Jane Austen bin. Was schreibt er?« Ich lugte ihm über die Schulter. »Oje. Das ist ja mehr als dürftig!«
»Und ziemlich kryptisch obendrein.« Sebastiano überflog mit ernster Miene die kurzen und unzusammenhängend wirkenden Anmerkungen, die José uns hinterlassen hatte. Sie waren schnell gelesen – und das trotz der katastrophal unordentlichen Schrift.
Im Auge behalten: Mr Stephenson und Mr Turner.
Wichtig: Mr Scott.
Gesellige Anlässe wahrnehmen – so viele wie möglich. Einflussreiche Leute treffen und die Zeichen deuten.
»Na toll«, sagte ich. »Das hilft uns jetzt wirklich super weiter.«
»Zumindest wissen wir, was wir als Erstes zu tun haben«, meinte Sebastiano.
»Und das wäre? Diesen Mr Scott aufsuchen?«
»Nein, das machen wir morgen. Ich dachte eher an die geselligen Anlässe . Damit können wir sofort anfangen.«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?«
»Oh, ich schätze, es gibt auch in dieser Epoche jede Menge Clubs, wo noch lange nach Mitternacht schwer was los ist. Aber im Moment denke ich eigentlich eher an so was wie eine kleine Privatparty. Nebenan in deinem Ankleidezimmer. Was hältst du davon, piccina ?« Er küsste mich auf die Nasenspitze. »Wir nehmen den Sherry mit rüber und schließen die Tür ab.«
Ich war längst überredet.
In der Nacht träumte ich wieder von einem Sturz in den endlosen Schacht. Ich fiel und fiel, und weit unter mir lauerte das namenlose Böse, das sich von der Zeit ernährte. Es verschlang Minuten und Stunden ebenso gierig wie Tage und Jahre. Ganze Äonen waren ihm nicht genug, es wollte alles. Seine Gier war grenzenlos, sein dunkler Schlund saugte den Lauf der Zeit auf und löschte dabei nach und nach alles Leben aus.
Seltsame Bilder umgaukelten mich, sie blühten in meinem Inneren auf wie Blumen, doch bevor ich sie richtig sehen konnte, verschwanden sie wieder. Es blieben nur Gefühle zurück, Ahnungen und Ängste, die von sicheren Erkenntnissen so weit entfernt waren wie die Erde vom Zentrum der Galaxis.
»Siehst du jetzt, wogegen wir kämpfen?«, flüsterte eine Stimme aus dem Nirgendwo mir zu. »Wir müssen es aufhalten, ehe es sich alles holt.«
Mit einem Keuchen fuhr ich hoch und starrte desorientiert in die Dämmerung, die mich umgab. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mich zurechtgefunden hatte. Ich saß allein in meinem Barbie-Himmelbett im Jahr 1813. Sebastiano hatte sich nach nebenan in sein eigenes Schlafzimmer zurückgezogen. Wir waren nach unserer kleinen Modenschau übereingekommen, dass es sicherer war, wenn wir getrennt schliefen, denn wir konnten nicht riskieren, dass unsere Tarnung aufflog.
Durch einen Vorhangspalt fiel trübes Licht. Ich kämpfte mich aus dem Bett und tappte durchs Zimmer, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Der Himmel war zwar grau verhangen und der Platz von Nebel umhüllt, doch unten auf der Straße herrschte schon ziemlich viel Betrieb. Ich sah mehrere Dienstmädchen mit Körben, einen Knecht mit einem schweren Sack auf dem Rücken, zwei Reiter in Uniform, ein Fuhrwerk mit Kisten und Fässern. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie spät es war, aber auf jeden Fall nicht zu früh zum Aufstehen.
In meinem Kleiderkabinett suchte ich den bestickten Morgenmantel heraus, der mir letzte Nacht schon aufgefallen war. Bei der Gelegenheit räumte ich die Unterwäsche wieder ein, die noch überall herumlag, lauter sündhaft durchsichtige Teile aus feinem Batist. Nur das Korsett war aus festerem Stoff gewebt – wobei es nicht besonders keusch ausgesehen hatte, als ich es vor wenigen Stunden mit Sebastianos Hilfe anprobiert hatte. Es wurde im Rücken geschnürt, verwandelte den
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