Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
Riemen zum Schnüren, fast wie bei römischen Gladiatoren. Ach ja, und nicht zu vergessen die Handtaschen. Ich verstand nicht viel davon, aber vermutlich sah ich hier gerade sämtliche Kelly Bags dieser Epoche auf einmal, bloß dass es eigentlich keine richtigen Taschen waren, sondern Schnürbeutel, die Retikül oder Pompadour genannt und am Handgelenk getragen wurden. Mit raschem Blick überflog ich das mit Schleifen, Fransen, Litzen und Perlmutt verzierte Sortiment. Bei zehn Stück hörte ich auf zu zählen und wandte mich überwältigt zu Mrs Fitzjohn um, weil die gerade irgendwas sagte.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe nicht richtig zugehört.«
»Die Zofe, die Lady Winterbottom ausgesucht hat, kommt leider erst morgen«, wiederholte Mrs Fitzjohn geduldig. »Lady Winterbottom möchte sie Ihnen persönlich vorstellen und sich außerdem gern davon überzeugen, dass sie mit der Auswahl der bereitgestellten Garderobe Ihren Geschmack getroffen hat. Selbstverständlich werde ich bis zum Eintreffen der Zofe jederzeit zur Verfügung stehen, um Ihnen aufzuwarten.« Sie deutete auf einen Wandschrank. »Darin befindet sich Myladys Weißwäsche.« Mit einem leicht verschämten Seitenblick auf Sebastiano fügte sie hinzu: »Das wird Seine Lordschaft aber sicher nicht sehen wollen.«
Aha. Da drin waren also die Dessous. Nicht für die Augen eines Mannes bestimmt. Schon gar nicht für die Seiner Lordschaft, der auf seine empfindsame kleine Schwester Rücksicht nehmen musste.
»Ich werde sie mir später anschauen«, teilte ich Mrs Fitzjohn mit.
»Wie Mylady wünschen.«
Sebastiano zog seine Taschenuhr hervor. »Es ist schon fast eins. Lady Anne und ich sind müde von der Reise. Wir werden uns jetzt zur Nachtruhe begeben.«
»Selbstverständlich. Wenn ich Mylady noch beim Auskleiden behilflich sein kann …«
Das lehnte ich dankend ab, worauf sich Mrs Fitzjohn zurückziehen wollte.
»Wo haben Sie und Ihr Gatte Ihre Schlafräume?«, erkundigte Sebastiano sich, als sie schon bei der Tür war.
»Zwei Stockwerke höher. Natürlich benutzen wir die Dienstbotentreppe. Und wir betreten Ihre Gemächer nur, wenn Sie es wünschen.« Sie deutete auf einen troddelbewehrten Klingelzug neben der Zimmertür. »Sie können jederzeit nach uns läuten.«
»Wohnt sonst noch jemand im Haus?«
Mrs Fitzjohn schüttelte den Kopf. »Die Köchin und die Küchenmägde kommen nur tagsüber, und die Zimmermädchen und der Hausdiener ebenfalls. Was die Zofe betrifft, so müssen Sie selbst entscheiden, wo sie Quartier nehmen soll. Unterm Dach gibt es einige freie Gesindekammern.«
»Darüber denken wir morgen nach«, erklärte Sebastiano. »Gute Nacht, Mrs Fitzjohn.«
»Gute Nacht, Mylord. Mylady.« Nach einem letzten Knicks verließ Mrs Fitzjohn den Raum.
Ich ließ mich mit einem Aufseufzen auf das Bett sinken. Die Kissen und Decken waren aus Daunen, und die Damastbezüge rochen leicht nach Lavendel. Man lag wie auf Wolken. Am liebsten wäre ich sofort eingeschlafen.
Von irgendwoher tönte das Schlagen einer Uhr, und plötzlich war ich sehr müde, obwohl ich erst seit ein paar Stunden auf war. Nach einem Zeitsprung fühlte man sich manchmal wie nach einem langen Flug – es blieb eine Art Jetlag zurück. Ich streckte mich und gähnte ausgiebig.
Sebastiano setzte sich zu mir aufs Bett. »Was hältst du davon?«
»Von dem Zimmer hier und all dem Anziehkram? Es ist ein bisschen wie bei Barbie zu Hause, finde ich. Das Himmelbett, die bunten Kleider.« Ich grinste ihn an. »Aber du siehst definitiv besser aus als Ken. Den fand ich schon als kleines Mädchen doof.«
»Danke. Aber ich meinte eigentlich eher dieses ganze hochherrschaftliche Setting.«
»Wir haben schon öfters Rollen gespielt, wenn wir auf Zeitreise-Einsatz waren.«
»Ja, aber nicht mit so einem bombastischen Hintergrund. Du weißt, wie sparsam José sonst immer ist. Diesmal hat er ein richtiges Vermögen springen lassen. Ein Butler, eine Haushälterin, Scharen von Personal … und ein eigenes Haus. Und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es sogar einen Stall mit Pferden und mindestens einer Kutsche. Das ist eindeutig alles eine Nummer größer als sonst.«
»Hat José dir eigentlich was über diesen Mr Scott erzählt?«, erkundigte ich mich. »Oder über eine Lady Winterbottom?«
»Weder noch. Diesmal haben wir kaum Informationen. Eigentlich gar keine. Und das beunruhigt mich ziemlich.«
Er fasste damit in Worte, was mich schon die ganze Zeit beschäftigt
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