Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
es keinen Moment länger aushalten zu können, ertönte der Knall, der das Licht auf einen Schlag zum Erlöschen brachte.
Doch diesmal wurde ich nicht von der Schwärze der Zeit verschluckt, sondern von einer heftigen Druckwelle zu Boden geworfen. Aus allen Richtungen prasselten Gesteinsbrocken nieder, einer davon traf mich schmerzhaft an der Schulter. Ich hatte keine Ahnung, was gerade passiert war, aber eins wusste ich sicher: Irgendetwas bei diesem Sprung war gründlich schiefgegangen.
TEIL ZWEI
London, 1813
I
ch lag flach auf dem Rücken, die Luft roch verbrannt. Voller Panik setzte ich mich auf. »Sebastiano?«
»Ich bin hier.« Er war ebenfalls gestürzt und lag dicht neben mir. Rasch gab er mir die Hand, und gemeinsam rappelten wir uns hoch.
»Bist du verletzt?«, fragte er drängend.
Ich rieb mir die Schulter. Es tat ein bisschen weh, aber der Stoff meines Mantels hatte gehalten. »Bloß eine kleine Prellung. Und du?«
»Alles in Ordnung. Nur mein Krawattenknoten ist ruiniert. Meeks wäre untröstlich.« Er klaubte einen Stein aus seinem gestärkten Hemdkragen.
Wir waren immer noch in der Kirche, aber es gab weit und breit keine Spur von José. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, klaffte ein tiefes Loch im Fußboden, als hätte jemand mit einem riesigen Hammer die Platten zertrümmert. Die herausgebrochenen Steine lagen im Umkreis von mehreren Metern verstreut herum. Von dem geschwärzten, glasig verbrannten Untergrund stiegen dunkle Rauchfäden auf. Davon abgesehen sah alles genauso aus wie vor wenigen Minuten: die rußigen Kerzen, die rechts und links von dem streng blickenden Jesus brannten, das vertrocknete Blumengebinde auf den Treppenstufen, die Wachsflecken auf dem Altartuch, das Messgewand auf dem Schemel. Die einzige Veränderung war das Loch im Fußboden.
»Was ist passiert?« Verstört sah ich Sebastiano an. »Ob das Tor instabil geworden ist, weil jemand uns bei dem Sprung beobachtet hat?« Hastig schaute ich mich nach allen Seiten um.
»Nein, das verursacht keine Schäden. In dem Fall passiert einfach nichts. Außerdem wäre José dann noch da.« Er trat gegen eines der herumliegenden Trümmerstücke. »Frag mich nicht, warum er ohne uns gesprungen ist, denn ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Hast du das schon mal erlebt?«
Sebastiano schüttelte düster den Kopf.
Von draußen klopfte es heftig an der Tür. Sebastiano ging öffnen – es war Jerry, der den Knall gehört hatte und nun erschrocken zu uns hereinschaute.
»Was ist geschehen?«
Im Hintergrund ließ sich die geschäftstüchtige Molly Flanders blicken, anscheinend war es Jerry noch nicht gelungen, sie loszuwerden. Sie lugte neugierig über seine Schulter.
»Das klang hier gerade nach einem gewaltig lauten Amen«, meinte sie leutselig. »Oder vielleicht doch eher nach einer Ladung Schwarzpulver?«
»Jerry, bitte warte eine Weile auf uns«, bat Sebastiano. »Wir sind hier noch nicht fertig.«
»Ja, aber …«
Sebastiano machte ihm die Tür vor der Nase zu, ehe er seinen Protest in Worte fassen konnte.
»Was hast du vor?«, fragte ich.
»Warten. Könnte ja sein, dass José gleich zurückkommt.«
Wir klopften uns den Staub von der Kleidung und setzten uns auf eine der Kirchenbänke. Dabei bemühten wir uns, dem vorwurfsvollen Starren des hölzernen Christus auszuweichen und auch nicht allzu genau den kaputten Fußboden neben der Säule zu betrachten. Sebastiano legte den Arm um mich, und gemeinsam hingen wir bedrückenden Gedanken nach.
Etwa fünf Minuten tat sich nichts. Dann wurde auf einmal die Tür zur Sakristei aufgerissen und ein Geistlicher platzte herein, der uns misstrauisch anblickte. Als er den ruinierten Fußboden sah, fing er sofort an zu zetern, und Sebastiano konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, die Polizei zu rufen. Der Geistliche jammerte ein ums andere Mal, er habe diesem einäugigen Schurken von Anfang an nicht getraut.
»Ich hätte niemals sein Geld nehmen dürfen, denn mir war klar, dass er die Kirche nur für dunkle und widernatürliche Zwecke missbraucht!«
Damit lag er ziemlich richtig, aber Sebastiano schaffte es, den Zorn des Mannes mit passenden Gegenmaßnahmen zu dämpfen. Eine Rolle Banknoten wechselte den Besitzer.
»Das sollte für einen neuen Fußboden reichen«, sagte er. »Vom Rest können Sie das Dach machen lassen. Oder eine neue Jesusfigur anschaffen.«
Der Geistliche wies uns entrüstet darauf hin, dass der hölzerne Heiland von seinem Bruder gefertigt worden
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