Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
der Zeitwächter gehörte, dessen Vermögen für Aufgaben in allen möglichen Epochen eingesetzt wurde. José würde es an sich nehmen und es wieder im großen Topf verschwinden lassen, so wie immer, wenn wir von unseren Einsätzen zurückkehrten.
Der unerwartete Befehl zum Aufbruch beunruhigte mich zwar, aber gleichzeitig war ich auch erleichtert, denn dieser ganze Job hatte von Anfang an etwas an sich gehabt, das mir auf unerklärliche Weise Angst einflößte. Die Albträume der letzten Nächte waren immer noch irgendwie präsent; sie schienen beständig hinter irgendeiner Ecke zu lauern und auf mich zu warten. Deshalb empfand ich auch kein Bedauern darüber, dass wir so schnell von hier verschwinden mussten. Es war nur ein wenig schade, dass wir uns nicht von unserer Dienerschaft verabschieden konnten, denn alle waren sehr nett zu uns gewesen. Doch Josés Anweisung, kein Aufsehen zu erregen, war ziemlich eindeutig. Obwohl es mir schwerfiel, hielt ich folglich den Mund und tat so, als wollten wir nur einen kleinen Ausflug in die City unternehmen.
Trotzdem nutzte ich die Gelegenheit, Janie, die gerade mit einem Federfeudel das Treppengeländer abstaubte, im Vorbeigehen noch zwei dicke Goldstücke in die Hand zu drücken. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie viel es genau wert war, aber ihre weit aufgerissenen Augen ließen mich vermuten, dass es mehr war, als sie je auf einmal gesehen hatte.
»Pst«, flüsterte ich, während ich mich vergewisserte, dass niemand es mitgekriegt hatte. »Eins für dich, eins für Cedric! Aber nicht weitersagen!«
Sie nickte nervös, und ich hoffte, dass sie bald aufhörte, wie ein verschrecktes Kaninchen dreinzuschauen, denn sonst würde sicher irgendwem auffallen, dass sie unerwartet zu Geld gekommen war. Hastig versenkte sie die Münzen in ihrer Schürzentasche, und ich eilte zur Haustür, wo Sebastiano schon ungeduldig auf mich wartete.
»Was hast du da?«, fragte er auf dem Weg zur Kutsche.
»Dieses Ding? Man nennt es Retikül. Das ist so was Ähnliches wie eine Handtasche.«
»Nein, ich meinte, was du da drin hast.«
»Oh, den Beutel mit dem Geld. Und … äh, ein bisschen was zum Lesen für unterwegs.« Als ich seinen Blick bemerkte, setzte ich eifrig hinzu: »Es sind bloß zwei kleine dünne Bücher! Nur Byron und Jane Austen! Ich weiß, dass wir das nicht tun sollen. Aber Sebastiano, es sind Erstausgaben ! Die gibt es bei uns praktisch überhaupt nicht mehr, oder höchstens ganz uralt und zerfleddert und in Schaukästen im Museum. Ich schwöre dir, dass ich sie super verstecke und niemandem zeige! Auch nicht Vanessa!« Ich wusste genau, dass die sich allenfalls für die Handtasche und die Klamotten interessierte, die ich gerade trug, aber diese Sachen würden sowieso wie üblich in den Kostümfundus wandern, den die Alten für unsere Zeitreisen unterhielten.
Bittend sah ich Sebastiano an. »So was wie mit den Brillanten im Eisfach passiert bestimmt nicht mehr, ich passe diesmal besser auf, versprochen!«
Er seufzte. »Meinetwegen. Es wird sowieso jeder, der es zufällig zu Gesicht kriegt, für eine Fälschung halten.«
Daran hatte ich überhaupt noch nicht gedacht, und dabei lag es doch auf der Hand. Nachdenklich blieb ich mitten auf der Straße stehen. »Weißt du, ich könnte …«
»Nein. Die Encyclopædia Britannica bleibt schön im Bücherschrank.«
Diesmal war ich es, die seufzte. »Na gut.«
Jerry war bereits vom Kutschbock gesprungen und hielt uns den Schlag auf. »Mylady, Mylord.«
»Jerry, du kannst uns doch ruhig mit Vornamen anreden«, sagte ich so leise, dass Jacko, der schrumpfköpfige Groom hinten auf dem Trittbrett, es nicht hören konnte. »Du weißt, dass wir gar nicht adlig sind.«
Er wurde unter seinen Sommersprossen rot und lächelte zögernd. »Würde einen schlechten Eindruck machen, wenn ich Sie vor anderen Leuten wie gute Freunde anspreche, also besser erst gar kein Risiko eingehen.«
»Trotzdem bist du ein super Kumpel«, sagte ich. Der Translator machte einen trefflichen Gefährten daraus, aber das änderte ja nichts am Sachverhalt. Ich musste ein paarmal schlucken, als ich mit Jerrys Hilfe in die Kutsche stieg, denn möglicherweise sah ich ihn heute das letzte Mal. Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass Sebastiano und ich noch einmal in der Londoner Vergangenheit zu tun haben würden, denn dieser Job war ja nur eine Vertretung, weil José für den Alten, der hier sonst die früheren Epochen managte, kurzfristig hatte einspringen
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