ZEITLOS - Band 2 (German Edition)

begannen.
    Für ihn, dem Physiker, war es eine gänzlich neue Erfahrung, Nahrung aus dem Schoß von Mutter Erde zu ernten. Dieses gärtnerische Tun schuf eine bisher nicht gekannte, neue Verbindung zur Natur und tat ihm gut.
    Lars ging mit Simon zusammen zu seinem alten Lieferwagen, der mittlerweile heftig Rost ansetzte und luftlos auf den Felgen am Straßenrand  stand – wie alle anderen Fahrzeuge auch. Sie hatten sich mittlerweile alle an den Anblick der rostenden Blechkarossen gewöhnt, sie dokumentierten überdeutlich die Vergänglichkeit aller materiellen Dinge.
    Sonderbar, dass ihm jetzt so viele Dinge auffielen, die er früher nie beachtet hatte. Auch nahm er jetzt den Duft des Gartens und das Gesumme der sich darin befindlichen Insekten viel deutlicher wahr – als hätte er einen neuen Sinn dafür entwickelt. Den sechsten Sinn vielleicht?
    Er musste schmunzeln. Sechster Sinn , damit umschrieb man paranormale, also übersinnlich erscheinende Wahrnehmungen. Vielleicht gab es diesen zusätzlichen Sinn überhaupt nicht, sondern einfach eine gesteigerte Fähigkeit, besser Fühlen, Sehen, Hören, Riechen und Schmecken zu können. Waren denn all diese Sinne vor dem Ereignis verschüttet gewesen unter der Reizüberflutung der lauten, industrialisierten Welt von damals? Konnten sie nur unter dem Einfluss der neuen Stille, diese immer vorhanden gewesene, jedoch nicht mehr wahrgenommene Fülle an Sinneseindrücken entdecken, die zu genießen jetzt so viel Freude bereitete? Er nahm sich vor, später mit den Freunden darüber zu reden.
    Lars kam mit Simon zurück in den Garten. »Traurig, diese vielen Karossen vor sich hin gammeln zu sehen. Super Autos… zu nichts mehr nütze« Lars hatte Schwierigkeiten damit, seinen Hang zu Ordnung und Perfektion aufzugeben. »Lars, ich habe dir schon immer gesagt, dass Leben Chaos bedeutet. Du hast mich damit aufgezogen und gemeint, das sei eine meiner größten Untugenden. Heute kommt es mir so vor, als ob dem nicht so ist. Chaos heißt Fülle, Lebendigkeit, pralles Leben, welches sich immer wieder selbst neu gebiert, sich entwickelt, Früchte trägt, altert und stirbt. Kreisprozesse, die, aus der Nähe besehen, chaotisch wirken, aber aus einem größeren Abstand wohltuende Perfektion spiegeln. Denk an das, was du über die Entropie gelernt hast: Alles im Kosmos hat die Tendenz, von der höheren in die nächst niedrigere Ordnungsstufe zu fallen«
    »Tja, aber nur, wenn man keine neue Energie in das System hinein gibt«, konterte Lars. Markus ließ sich den Satz des Freundes lange durch den Kopf gehen. Klar wusste er, dass nach dem zweiten Satz der Thermodynamik in einem geschlossenen System keine Energie verloren gehen konnte. Doch… bezog sich dieses so genannte geschlossene System nicht nur auf die bisher physikalisch erklärbare und beobachtbare Welt? War das nicht doch  zu eng betrachtet? Fühlte er nicht, dass es da noch einen weiteren Aspekt geben musste? Gedankenenergie! Dass es sich um eine Energieform handelte, war in der Naturwissenschaft bisher nicht wirklich beachtet worden. War das der springende Punkt? War das die Arbeit, die Neue Hoffnung Erde zu leisten hatte? Arbeit war, physikalisch gesehen, das Produkt aus Kraft und Weg, oder, übertragen auf ihre Situation, das Produkt aus Gedankenleistung und Zeit. Hatten sie dem Faktor Zeit bisher zu wenig Beachtung geschenkt? Plötzlich kam ihm eine großartige Idee ...
    ***
     
    Zufrieden saßen sie nach getaner Arbeit beim gemeinsamen Essen. Ihr Tagewerk konnte sich sehen lassen; das Haus war wieder in einen erträglichen Zustand versetzt und im Garten war ein Großteil der erforderlichen Arbeit erledigt. Morgen würden sie noch den Broccoli säen und die ersten Johannisbeeren pflücken.
    Jetzt saßen sie alle um den Terrassentisch herum und erfreuten sich an den köstlichen Speisen. Da gab es frische Erdbeeren, junge Kartoffeln, Salat, Eier und sogar ein von Opa Werner frisch geschlachtetes Kaninchen aus eigener Haltung. Sie ließen es sich schmecken, denn an diesem Tag hatten sie viel geschafft und waren entsprechend hungrig.
    Nachdem sie gegessen hatten hielt Markus es nicht länger aus. Zu sehr brannte ihm sein Gedanke vom Vormittag auf den Lippen, den er unbedingt den Freunden mitteilen musste. »Wisst ihr, mir geht etwas nicht aus dem Kopf. Kerstins Gospel-Gottesdienst vor zwei Wochen, der hatte es ja wahrhaftig in sich und wir wissen auch alle warum. Wir sind dankbar, dass Simon sich befreien konnte – schön,