Zeitlos
Interviews fiel ihm eine Eigentümlichkeit auf, nämlich der Versprecher Büttners, als er Siliziumcluster, äh, ich meine natürlich Goldcluster sagte. Wieso sagte ihm sein Instinkt, dass dieser Versprecher Bedeutung hatte? Er griff zum Telefon, wählte Neles Nummer und fragte sie direkt: »Sag einmal, was ich noch vergessen hatte zu fragen: Beschäftigt sich Büttner eigentlich auch mit Siliziumclustern?«
»Nein, ich sagte doch schon, dass sich das derzeitige Projekt mit den speziellen Eigenschaften von Goldclustern beschäftigt!« Plätschner unterlegte das Stichwort Siliziumcluster in seiner Notiz gelb und fügte drei in Klammern gesetzte Ausrufezeichen hinzu. Das wollte er im Auge behalten.
11.04.2012; Mittwoch; 12:33 Uhr/MEZ; A7-Ausfahrt Neumünster-Süd
Er verließ die A7 an der Ausfahrt Neumünster-Süd. Es war Mittagszeit. Kurz zuvor hatte er mit Lars telefoniert und gefragt, ob dieser ein Stündchen Zeit für ihn hätte. Der Freund hatte sofort zugesagt und so konnte Markus die frühe Rückfahrt vom Deutschen Synchroton-Forschungszentrum DESY in Hamburg für diesen Kurzbesuch nutzen.
Als er den Wagen die wenigen Kilometer von der Autobahnabfahrt ins Gewerbegebiet Neumünster-Süd rollen ließ, wo Lars seinen Bäckereibetrieb unterhielt, wurde ihm bewusst, dass er schon seit geraumer Zeit nicht mehr hier gewesen war. Er hielt Ausschau nach dem grauroten Hallenbau. Neue Bautätigkeiten hatten das Gesicht des Gewerbegebiets in der Zwischenzeit verändert. Dann fand er sein Ziel. Er bog in die unbeschrankte Betriebseinfahrt ein und parkte seinen Wagen abseits der Laderampe, an der mehrere Auslieferungstransporter standen.
Das Betriebsgelände war picobello aufgeräumt, der knallrote Eingang zum Verwaltungsbereich wirkte einladend. Während er an der Reihe der Transporter vorüberging, bemerkte Markus auch bei den Fahrzeugen dieselbe Sauberkeit, kein Wagen wies Rost, Schmutz oder Beulen auf. Typisch Lars! Er kannte ihn als unglaublichen Perfektionisten, aber zum Glück als einen von der Sorte, die trotzdem entspannt und in sich ruhend sind. Dies erklärte vielleicht auch seine Wirkung auf andere – immer wirkte er gelassen und überlegen, jedoch ohne jeglichen Anflug von Arroganz. Seine Dominanz war einfach mit ihm im Raum, ob er etwas sagte oder nur still zuhörte.
Markus passierte gerade den Eingang, als sich schon die automatische Tür mit schmatzendem Geräusch vor ihm öffnete und zum Eintreten einlud. Die junge Dame am Empfang kannte er nicht, dagegen schien sie zu wissen, wer er war. »Herr Professor Stettner? Herr Hoefner bittet Sie hinauf in sein Büro. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er in wenigen Minuten zurück sein wird.« Sie lächelte charmant, er nickte freundlich zurück und ging hinüber zur Treppe.
Das Chefbüro lag im zweiten Stock. Eine gläserne Türfront grenzte den Verwaltungstrakt zum Treppenhaus ab. Markus ignorierte die einladende Sitzgruppe und schritt direkt auf das Chefzimmer zu. Sein kurzes Klopfen erhielt erwartungsgemäß keine Antwort und so trat er in das unverschlossene Büro ein. Auf dem Besprechungstisch stand bereits ein Glas und eine Flasche Selters. Die Haftnotiz am Glas trug Lars' Handschrift: Bedien dich, bin gleich zurück. Lars
Markus schaute aus dem Fenster, ließ seinen Blick über das Betriebsgelände gleiten und über die aus dieser Höhe zu sehenden, benachbarten Gewerbeansiedlungen. Laderampen und Betriebszufahrt hatte man von hier aus prima im Blick. Lars hatte diesen Standort damals, im Gewerbegebiet Neumünster vor vierzehn Jahren, als er den väterlichen Betrieb hierher verlegte, sehr sorgfältig ausgesucht, denn er hatte Großes im Sinn.
Markus setzte sich und trank einen Schluck. So modern und sachlich das Zimmer auch eingerichtet war, der Chefschreibtisch und der Arbeitsstuhl standen in diametralem Gegensatz zur übrigen Einrichtung. Markus wusste, dass die beiden Utensilien für Lars unverzichtbar waren und etwas mit dem Respekt zu tun hatten, mit dem er die Arbeit seines früh verstorbenen Vaters Siegfried und seines Großvaters Willy Hoefner würdigte. Schreibtisch und Stuhl wurden schon seit Generationen vererbt und waren von Lars in Ehren gehaltene Insignien seines Erbes, denn er war Bäcker in fünfter Generation. An den Wänden des Treppenhauses zeugten sepiafarbene, großflächige Fotografien von den vergangenen Zeiten und dem fortwährenden Wandel des sich entwickelnden Betriebes. Sie gaben den Besuchern eine
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