Zeitlose Zeit
Menschen um ihn. Wie schön, dachte er. Das ist das Goldene Zeitalter. Die schönste Zeit, am Leben zu sein. Hoffentlich kann ich immer so leben.
Sein Vater winkte aus dem Volkswagen, bepackt mit Paketen.
»Fahren wir«, rief sein Vater.
» Okay«, sagte er, noch immer staunend, alles sehend, unwillig, alles vorbeiziehen zu lassen. In einer Ecke des Parkplatzes Haufen von buntem Papier, zusammengeweht, Einwickelpapier, Schachteln und Tüten. Er sah die Muster, die zerknüllten Zigarettenschachteln, die Deckel von Milchkartons. Und dort lag etwas Wertvolles. Ein Dollarschein, zusammengefaltet. Hingeweht mit dem anderen. Er bückte sich, zog ihn heraus und entfaltete ihn. Ja, ein Dollarschein. Jemand hatte ihn verloren, wahrscheinlich vor langer, langer Zeit.
»He, schau, was ich gefunden habe«, rief er den Eltern zu und rannte los.
»Den Besitzer finden wir nie«, sagte sein Vater. »Klar, behalt ihn.« Er fuhr dem Jungen durchs Haar.
»Aber er hat das Geld nicht verdient«, sagte seine Mutter.
»Ich hab’ es gefunden«, sang Ragle Gumm und umklammerte den Schein. »Ich bin dahintergekommen, wo es ist. Ich wußte, daß es da liegt.«
»Glück«, sagte sein Vater. »Ich kenne Leute, die auf der Straße gehen und jeden Tag Geld finden. Mir passiert das nie, ich habe in meinem ganzen Leben kein einziges Geldstück gefunden.«
»Ich schon«, sang Ragle Gumm. »Ich kann es berechnen. Ich kenne mich aus.«
Später lag sein Vater im Wohnzimmer auf dem Sofa und erzählte Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg, aus seiner Zeit im Pazifik. Die Mutter spülte in der Küche ab. Die Ruhe im Haus ...
»Was wirst du mit deinem Dollar machen?« fragte sein Vater.
»Investieren«, sagte Ragle Gumm. »Damit ich mehr bekomme.«
»Großer Geschäftsmann, wie?« sagte sein Vater. »Vergiß aber die Körperschaftssteuer nicht.«
»Mir bleibt noch genug«, sagte er zuversichtlich und lehnte sich zurück wie sein Vater, die Hände hinter dem Kopf, die Ellenbogen angewinkelt.
Er genoß diesen glücklichsten Augenblick des Lebens.
»Aber warum so ungenau?« fragte er Mrs. Keitelbein. »Das Tucker-Auto. Ein großartiges Fahrzeug, aber ...«
»Sind Sie einmal in einem gefahren«, sagte Mrs. Keitelbein.
»Ja«, sagte er, »das glaube ich jedenfalls. Als ich klein war.« Er erinnerte sich in diesem Augenblick und spürte die Gegenwart des Autos. »In Los Angeles«, sagte er, »ein Freund von meinem Vater hatte einen der Prototypen.«
»Sehen Sie, das erklärt es«, sagte sie.
»Aber er ist nie in Produktion gegangen. Er kam nie über die Anfertigung von Hand hinaus.«
»Aber Sie brauchten ihn«, sagte Mrs. Keitelbein. »Es war für Sie.«
»›Onkel Toms Hütte‹«, sagte Ragle Gumm. Es war ihm ganz natürlich erschienen, als Vic ihm die Broschüre vom Buchklub gezeigt hatte. »Das Buch ist hundert Jahre vor meiner Zeit geschrieben worden. Es ist wirklich alt.«
Mrs. Keitelbein griff nach dem Magazin.
»Eine Wahrheit aus Ihrer Kinderzeit«, sagte sie und hielt ihm das Heft hin. »Versuchen Sie, sich zu erinnern.«
Da, im Artikel, eine Zeile über das Buch. Er hatte es besessen und es immer und immer wieder gelesen. Zerfleddert, gelber und schwarzer Einband, mit Zeichnungen. Wieder spürte er das Buch in seiner Hand, das rauhe Papier. Er im stillen, schattigen Garten auf dem Bauch liegend, das Buch vor sich. Im Zimmer, immer wieder bei der Lektüre, weil das ein stabiles Element war, es veränderte sich nicht. Es gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. Das Gefühl, er könne sich darauf verlassen, daß es da sei, wie immer.
»Alles nach den Maßstäben Ihrer Bedürfnisse«, sagte Mrs. Keitelbein. »Was Sie brauchten, für Ihre Sicherheit und Bequemlichkeit. Weshalb sollte alles genau stimmen? Wenn ›Onkel Toms Hütte‹ eine Notwendigkeit Ihrer Kindheit war, dann wurde das Buch mit einbezogen.«
Wie ein Tagtraum, dachte er. Das Gute behalten, das Unerwünschte fernhalten.
»Wenn Radios störten, dann keine Radios«, sagte Mrs. Keitelbein. »Oder jedenfalls sollte es keine geben.«
Ganz natürlich, dachte er. Hier und dort übersah man ein Gerät. Man vergaß, daß in der Illusion kein Radio existierte, man stolperte über solche Kleinigkeiten. Die typische Schwierigkeit bei der Aufrechterhaltung von Tagträumen ... sie blieben nicht konsequent. Bill Black saß am Tisch bei uns und spielte Poker, und das mit dem Detektor ging ihm nicht auf. Er war zu selbstverständlich. Er machte ihn nicht stutzig, weil er an wichtigere Dinge dachte.
»Sie erkennen
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