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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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sprach. Wusste er denn nicht, dass sein Gott und der Gott des Islam ein und derselbe waren? Das war eines der ersten und einfachsten Dinge gewesen, die aus den Broschüren hervorgingen, die Yuko ihr gegeben hatte: Allah ist einfach nur das arabische Wort für Gott. Selbst Christen nennen ihren Gott Allah, wenn sie Arabisch sprechen.
    Anschließend pries der Prediger Kathy und Jesus und betonte die Vorrangstellung seines und ihres Glaubens, doch da hörte Kathy schon kaum noch zu. Irgendetwas in ihr war zerrissen. Als er fertig war, ging sie benommen zu ihrem Platz zurück. Sie war durcheinander, aber in dem Augenblick wurde ihr etwas klar. Den Rest des Gottesdienstes harrte sie höflich lächelnd aus, wusste sie doch bereits, dass sie niemals wiederkommen würde.
    Auf der Heimfahrt dachte sie über den Zwischenfall nach, der ihr auch am Abend und den ganzen nächsten Tag lang nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Sie sprach mit Yuko darüber, und sie machten sich bewusst, dass dieser Mann, der vor eintausend beeinflussbaren und treuherzigen Gläubigen sprach, nicht wusste oder sich nicht darum scherte, dass Islam, Judentum und Christentum recht eng verwandte Zweige derselben monotheistischen abrahamitischen Religion waren. Und den gesamten Islam mit einem kindischen Geräusch abzutun? Kathy konnte sich dem, was der Mann predigte, nicht mehr zugehörig fühlen.
    So kam es, dass sie Yuko zögerlich in den Islam folgte. Sie las den Koran und staunte über seine Kraft und Poesie. Die christlichen Prediger, die sie kannte, hatten oft und ausführlich darüber gesprochen, wer in die Hölle kommen würde und wer nicht, wie heiß sie brannte und für wie lange, doch von den Imamen, die sie nun kennenlernte, hörte sie keinerlei Verkündigungen dieser Art. »Werde ich in den Himmel kommen?«, fragte sie. »Das weiß Gott allein«, erwiderte der Imam dann. Die verschiedenen Zweifel der Imame waren tröstlich und zogen sie nur noch mehr an. Sie stellte ihnen viele Fragen, so wie sie ihren Pastoren Fragen gestellt hatte, und die Imame versuchten auch zu antworten, konnten es aber oftmals nicht. »Befragen wir den Koran«, sagten sie häufig. Ihr gefiel die persönliche Verantwortung, die sie im Islam spürte, seine Neigung zu sozialer Gerechtigkeit. Vor allem jedoch gefiel ihr der Eindruck von Würde und Reinheit, den die Musliminnen verkörperten, denen sie begegnete. Sie erschienen Kathy so gefestigt, so ehrbar. Sie waren tugendhaft, sie waren diszipliniert. Kathy sehnte sich nach dieser Art von Selbstbeherrschung. Sie sehnte sich nach dem Frieden, der mit dieser Selbstbeherrschung einherging.
    Der eigentliche Übertritt zum Islam war schön und schlicht. In Anwesenheit von Yuko und einer Handvoll anderer Frauen aus der Moschee sprach sie die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis. »Aschhadu an la ilaha illa allah, wa-aschhadu anna Muhammad rasuluallah.« Mehr musste sie nicht sagen. Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt, und ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Allahs ist. Mit diesen Worten war Kathy Delphine Muslimin geworden.
    Als sie versuchte, das ihren Freunden und ihrer Familie zu erklären, geriet Kathy ins Stottern. Aber sie wusste, dass sie im Islam Frieden gefunden hatte. Der Zweifel, der fester Bestandteil des Glaubens war, ließ ihr Raum für eigene Gedanken und Fragen. Die Antworten, die der Koran lieferte, boten ihr einen Weg an. Selbst ihre Familie betrachtete sie durch die Linse des Islam plötzlich wie mit Weichzeichner. Sie war weniger aggressiv. Sie hatte sich immer mit ihrer Mutter gestritten, doch der Islam lehrte, dass »der Himmel zu Füßen der Mutter liegt«, und das zügelte sie. Sie hörte auf, ihr zu widersprechen, und lernte, geduldiger und toleranter zu werden. Er hat eine Reinheit in mir zurückgeholt, sagte sie gern.
    Für Kathy mochte ihr Übertritt zum Islam ein Schritt nach vorn gewesen sein, doch in den Augen ihrer Mutter und ihrer Geschwister war es, als hätte sie sich von ihrer Familie und allem, wofür sie stand, abgewendet. Kathy bemühte sich dennoch, mit ihnen auszukommen, und ihre Familie bemühte sich ebenfalls. Es gab Zeiten, in denen alles gut lief und Besuche schön waren, ereignislos. Doch schon das nächste Treffen konnte mit Streitereien und Vorwürfen enden, mit Türenknallen und überstürzter Abreise. Zu einigen ihrer acht Geschwister hatte Kathy gar keinen Kontakt mehr.
    Aber sie wollte eine große Familie. Sie wollte, dass ihre Kinder ihre Tanten

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