Zeitoun (German Edition)
und Onkel und Cousins kannten, und daher war die Erleichterung groß, als der Odyssey um halb zwölf endlich vor dem Haus ihres Bruders in Baton Rouge hielt. Sie lud die Kinder aus, die binnen weniger Minuten auf Sofas und Fußböden eingeschlafen waren.
Schließlich rief sie Zeitoun an.
»Wird es schon stürmisch?«
»Bis jetzt noch nicht«, sagte er.
»Mir fallen die Augen zu«, sagte Kathy. »So müde war ich noch nie.«
»Erhol dich«, sagte er. »Schlaf dich aus.«
»Du auch.«
Sie sagten einander gute Nacht und machten die Lichter aus.
SONNTAG , 28. AUGUST
Kathy erwachte vor Tagesanbruch und schaltete den Fernseher ein. Katrina war inzwischen ein Hurrikan der Kategorie 5 mit Windgeschwindigkeiten von 150 Meilen die Stunde. Er hielt fast genau auf New Orleans zu, und man rechnete damit, dass er etwa sechzehn Meilen westlich der Stadt mit voller Wucht wüten würde. Meteorologen prognostizierten orkanartige Winde, drei Meter hohe Sturmfluten, mögliche Deichbrüche, Überschwemmungen entlang der gesamten Küste. Es wurde erwartet, dass der Sturm New Orleans in der Nacht erreichen würde.
Im Laufe des Tages, während die Berichterstattung über den Hurrikan immer beängstigender wurde, riefen Kunden bei Kathy und Zeitoun an und baten sie, ihre Fenster oder Türen zu sichern. Kathy nahm die Anfragen entgegen und gab sie an Zeitoun weiter. Zeitoun, der erfahren hatte, dass einer seiner Tischler, James Crosso, noch in der Stadt war, klapperte mit ihm zusammen die Häuser auf der Liste ab und machte sie sturmfest. James’ Frau arbeitete in einem Hotel im Stadtzentrum, und das Paar hatte vor, den Hurrikan dort auszusitzen. Zeitoun und James fuhren mit einer Vierteltonne Sperrholz auf der Ladefläche von Baustelle zu Baustelle und taten, was sie konnten, ehe der Sturm kam. Die Straßen waren noch immer überfüllt, da eine neue Verkehrswelle aus der Stadt rollte, doch Zeitoun ließ sich nicht beirren. In ihrem Haus auf der Dart Street wäre er sicher, so meinte er, weit entfernt von den Deichen, mit zwei Stockwerken, jeder Menge Werkzeug und Proviant.
Am späten Vormittag ordnete Bürgermeister Nagin die erste Zwangsevakuierung in der Geschichte der Stadt an. Jeder, der fliehen konnte, musste fliehen.
Den ganzen Tag über sahen Zeitoun und James lange Warteschlangen an Bushaltestellen – all jene Leute, die vorhatten, im Superdome Zuflucht zu suchen. Familien, Paare, alte Männer und Frauen, die ihre Habe in Rucksäcken, Koffern, Mülltüten bei sich trugen. Allmählich wurde der Wind stärker, der Himmel verdunkelte sich, und es bedrückte Zeitoun, diese Menschen so schutzlos zu sehen. Auf dem Rückweg von den Baustellen kamen er und James an denselben geduldig wartenden Gruppen vorbei, die sie schon auf dem Hinweg gesehen hatten.
In Baton Rouge war das Wetter dunkel und ungestüm geworden. Heftiger Wind und schon um die Mittagszeit ein finsterer Himmel. Die Kinder spielten eine Weile draußen, doch dann kamen sie herein, um sich eine DVD anzusehen, während Kathy mit Patty und Mary Ann plauderte. Die Bäume in der Nachbarschaft schwankten heftig.
Um fünf Uhr fiel der Strom aus. Die Kinder spielten bei Kerzenschein Brettspiele.
In regelmäßigen Abständen ging Kathy nach draußen zum Wagen, um die Nachrichten im Autoradio zu hören. Die Winde drückten in New Orleans Fensterscheiben ein, rissen Bäume und Strommasten um.
Kathy versuchte, Zeitoun anzurufen, wurde aber direkt zur Mailbox durchgestellt. Sie probierte die Festnetznummer zu Hause. Nichts. Die Leitungen waren unterbrochen, vermutete sie. Der Hurrikan hatte die Stadt noch gar nicht erfasst, und schon konnte sie ihren Mann nicht mehr erreichen.
Um sechs Uhr hatte Zeitoun James abgesetzt und war zu Hause, bereit. Er sah sich die Fernsehnachrichten an; die Berichte hatten sich nicht sehr verändert. Der äußere Rand des Hurrikans wurde gegen Mitternacht erwartet. Zeitoun ging davon aus, dass dann das Stromnetz für ein paar Tage zusammenbrechen würde.
Er ging durch die dunkler werdenden Räume und überlegte, welche Gefahren ihm während des Sturms drohen mochten. Das Haus hatte vier Schlafzimmer – das Elternschlafzimmer im Parterre und die Kinderzimmer im ersten Stock. Dort oben rechnete er mit undichten Stellen, Teile des Dachs könnten beschädigt werden. Ein paar Fenster könnten zu Bruch gehen – das Wohnzimmer mit dem Erkerfenster war gefährdet. Außerdem bestand die – wenn auch unwahrscheinliche – Möglichkeit, dass der
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