Zeitoun (German Edition)
ein betrunkener Autofahrer verursacht hatte, ums Leben gekommen, als Yuko noch sehr klein war. Obwohl Yuko drei Jahre älter war, wurden sie und Kathy unzertrennlich, und Kameko war so warmherzig und um Kathys Wohl besorgt, dass Kathy irgendwann anfing, sie Mom zu nennen.
Kathy verstand nie, warum Kameko sich ihrer annahm, aber sie hütete sich davor, es zu hinterfragen. Yuko witzelte, ihre Mom wollte sich bloß Kathys Vertrauen erschleichen, um sie baden zu können. Als Kind hatte Kathy eine Abneigung gegen das Baden, und bei ihr zu Hause legte man keinen großen Wert darauf, daher ließ Kameko jedes Mal, wenn Kathy zu ihnen kam, gleich die Wanne volllaufen. »Sie sieht aus wie ein Dreckspatz«, sagte sie gern im Scherz zu Yuko, aber es machte ihr Spaß, Kathy zu baden, und Kathy freute sich darauf – auf Kamekos Hände, die ihr die Haare wuschen, die langen Fingernägel, die sie im Nacken kitzelten, die Wärme eines frischen, dicken Handtuchs um die Schultern.
Nach der Highschool wurde die Freundschaft zwischen Kathy und Yuko noch enger. Kathy zog in eine Wohnung am Airline Highway in Baton Rouge, und beide fanden Arbeit bei Dunkin’ Donuts. Die Unabhängigkeit war ungemein wichtig für Kathy. Selbst in ihrer kleinen Wohnung an einer sechsspurigen Schnellstraße herrschte jetzt ein Lebensgefühl von Ordnung und Ruhe, wie sie es nie gekannt hatte.
Ein malaysisches Schwesternpaar kam regelmäßig in den Laden, und Yuko unterhielt sich öfter mit den beiden, stellte ihnen viele Fragen. »Was bedeutet das Kopftuch?« »Was seht ihr im Islam?« »Dürft ihr Auto fahren?« Die Schwestern waren offen, unaufdringlich, niemals missionarisch. Kathy bemerkte es erst gar nicht, doch die zwei hatten Yuko schwer beeindruckt, sie war fasziniert. Sie begann, sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, las den Koran. Schon bald brachten die malaysischen Schwestern ihr Broschüren und Bücher mit, und Yuko befasste sich intensiver mit dem Thema.
Als Kathy begriff, wie ernst Yuko die Sache war, reagierte sie zunächst aufgebracht. Sie waren beide im christlichen Glauben erzogen worden, hatten eine streng christliche Grundschule besucht. Sie war fassungslos, dass ihre Freundin sich mit diesem exotischen Glauben befasste. Yuko war stets eine fromme Christin gewesen – und für Kameko galt das erst recht.
»Was würde deine Mom dazu sagen?«, fragte sie.
»Versuch einfach, unvoreingenommen zu sein«, sagte Yuko. »Bitte.«
Einige Jahre vergingen, und nach einer Reihe von Fehlentscheidungen und gescheiterten Beziehungen lebte Kathy, inzwischen geschieden, allein mit Zachary, der noch kein Jahr alt war. Sie wohnte noch immer zur Miete in der Wohnung am Airline Highway und hatte zwei Jobs. Vormittags arbeitete sie als Kassiererin bei K&B, einer Drogerie-Kette am Highway. Eines Tages war der Manager von Webster Clothes, einem Herrenausstatter auf der anderen Straßenseite, in den Drogeriemarkt gekommen und von Kathys lebhafter Art so fasziniert gewesen, dass er sie fragte, ob sie bereit sei, bei K&B aufzuhören, oder, falls nicht, ob sie zusätzlich halbe Tage bei Webster arbeiten würde. Kathy brauchte das Geld, also nahm sie den zweiten Job an. Von da an ging sie, wenn sie am frühen Nachmittag bei K&B Feierabend machte, einfach über den Highway zu Webster und arbeitete dort bis zum Ladenschluss. Schon bald brachte sie es so auf eine Fünfzigstundenwoche und verdiente genug, um die Krankenversicherung für sich und Zachary zu bezahlen.
Aber ihr Leben war ein ständiger Kampf, und sie suchte nach irgendeiner Ordnung und Sinnhaftigkeit. Yuko hingegen wirkte friedvoll und selbstsicher. Sie hatte schon immer in sich geruht, worum Kathy sie richtig beneidet hatte, jetzt jedoch schien es, als hätte sie die Antwort auf alles gefunden.
Kathy begann, sich Bücher über den Islam auszuleihen. Sie war nur neugierig und hatte nicht die Absicht, den christlichen Glauben abzulegen. Anfangs war sie lediglich fasziniert von den grundlegenden Dingen, die sie nicht gewusst, und den vielen Dingen, die sie fälschlicherweise angenommen hatte. So hatte sie beispielsweise keine Ahnung gehabt, dass es im Koran von biblischen Gestalten nur so wimmelte – Moses, Maria, Abraham, der Pharao, sogar Jesus. Sie hatte nicht gewusst, dass Muslime den Koran als das vierte Buch Gottes an seine Propheten betrachten, nach dem Alten Testament (der sogenannten Tawrat, oder dem Gesetz), den Psalmen (dem Zabur ) und dem Neuen Testament ( ’Injil ). Die Tatsache,
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