Zeitoun (German Edition)
Kunde lachte: »Das Ding wollen Sie haben?«, fragte er. Für fünfundsiebzig Dollar kaufte Zeitoun es auf der Stelle.
Irgendwie hatte das Kanu ihn fasziniert. Es war solide, unbeschädigt und hatte innen zwei hölzerne Sitzbänke. Es war knapp fünf Meter lang und für zwei Personen gebaut. Es schien von Entdeckungsfahrten zu erzählen, von Fluchten. Er zurrte es auf dem Dach seines Transporters fest und nahm es mit nach Hause.
Kathy schaute gerade aus dem Wohnzimmerfenster, als er vorfuhr. Sie begrüßte ihn an der Tür.
»Niemals«, sagte sie.
»Was?«, fragte Zeitoun lächelnd.
»Du bist verrückt«, sagte sie.
Kathy spielte gern die Genervte, doch Zeitouns romantische Ader war einer der Hauptgründe, warum sie ihn liebte. Sie wusste, dass ihn jede Art von Boot an seine Kindheit erinnerte. Wie konnte sie da gegen ein gebrauchtes Kanu sein? Sie war ziemlich sicher, dass er es nie benutzen würde, aber sie wusste, es einfach nur in der Garage zu haben, würde ihm schon etwas bedeuten – eine Verbindung mit der Vergangenheit, die Verheißung von Abenteuern. Was auch immer es war, sie würde ihm nicht im Wege stehen.
Er versuchte zwei- oder dreimal, seine Töchter für das Kanu zu begeistern. Er fuhr mit ihnen zum Bayou St. John, ließ das Kanu zu Wasser und setzte sich hinein. Als er Nademah hereinheben wollte, die am Ufer stand, weigerte sie sich. Und die jüngeren Mädchen wollten auch nicht ins Boot. Also schauten sie vom Ufer aus zu, während er allein eine halbe Stunde herumpaddelte und versuchte, ihnen zu demonstrieren, wie spaßig und unwiderstehlich das war. Als er wieder an Land ging, hatten sie noch immer keine Lust, ins Boot zu steigen, und so verfrachtete er das Kanu wieder auf das Dach des Transporters, und sie fuhren alle nach Hause.
Ab fünf Uhr morgens wurde der Wind stärker. Zeitoun wusste nicht, wann der Hurrikan tatsächlich die Stadt erreichte, aber an jenem Morgen wurde es kaum hell. Statt pechfinster war es nun dunkelgrau, und die Regentropfen prasselten wie Kieselsteine gegen die Scheiben. Er hörte dicke Äste unter dem Wind nachgeben, gewaltige Seufzer, wenn Baumstämme auf Straßen und Dächer stürzten.
Schließlich konnte er sich nicht mehr wach halten. Obwohl das Haus angegriffen wurde, legte er sich in dem Wissen hin, dass ihn schon bald irgendetwas aufschrecken würde, und so kapitulierte er vorübergehend und fiel in einen leichten Schlaf.
MONTAG, 29. AUGUST
Zeitoun erwachte spät. Als er auf seine Armbanduhr sah, traute er seinen Augen kaum. Es war nach zehn. So lange hatte er seit Jahren nicht mehr geschlafen. Alle Uhren im Haus waren stehen geblieben. Er stand auf und betätigte die Lichtschalter in drei Räumen. Noch immer kein Strom.
Draußen war der Wind stark, der Himmel noch immer dunkel. Es regnete – nicht sehr stark, aber stark genug, um Zeitoun die meiste Zeit des Tages im Haus zu halten. Er frühstückte und machte einen Kontrollgang durch alle Räume, ob noch weitere Schäden aufgetreten waren. Er stellte Eimer unter zwei neue undichte Stellen. Insgesamt hatte der Schaden sich nicht vergrößert, seit Zeitoun sich hingelegt hatte. Er hatte die schlimmste Phase des Hurrikans glatt verschlafen. Durch die Fenster sah er, dass umgekippte Strommasten und Bäume auf den Straßen lagen und das Wasser etwa dreißig Zentimeter hoch stand. Es war schlimm, aber nicht viel schlimmer als eine Handvoll andere Hurrikans, an die er sich erinnerte.
In Baton Rouge fuhr Kathy mit ihren Kindern zu Wal-Mart, um die Lebensmittelvorräte aufzustocken und Taschenlampen zu kaufen. Im Laden schien es mehr Menschen als Waren zu geben. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Das Geschäft war praktisch leer gekauft, so gut wie nichts stand mehr in den Regalen. Es sah aus, als würde die Welt untergehen. Die Kinder hatten Angst, hielten sich an ihr fest. Kathy suchte nach Eiswürfeln und erfuhr, dass Eis schon lange ausverkauft war. Wider Erwarten entdeckte sie noch eine Packung mit zwei Taschenlampen, die letzte, und griff danach, Sekundenbruchteile bevor eine andere Frau sie nehmen konnte. Sie bat die Frau mit einem Lächeln um Entschuldigung und ging zur Kasse.
Am Nachmittag ließen der Wind und der Regen nach. Zeitoun ging nach draußen, um sich umzusehen. Es war warm, bestimmt 26 oder 27 Grad. Er schätzte, dass das Wasser knapp einen halben Meter hoch stand. Es war Regenwasser, trüb und graubraun, aber er wusste, dass es bald versickern würde. Er warf einen Blick in den Garten.
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