Zeitoun (German Edition)
Nademah, runzelig und schlafend. Er berührte sie mit den Fingern, um ihre Wärme zu spüren, um sich zu vergewissern, dass sie wohlauf war. Sie war es.
Er trug die Babyschale nach oben, übergab Nademah an Kathy, und ehe sie mit ihm schimpfen, sich über ihn lustig machen oder sich von ihm scheiden lassen konnte, rannte er die Treppe wieder hinunter und machte einen Spaziergang. Er brauchte an dem Tag einen Spaziergang, ebenso wie an vielen Tagen danach, um sich darüber klar zu werden, was er getan hatte und warum, wie er seine Tochter hatte vergessen können, während er seiner Frau half. Wie schwer es war, beides zu sein, Partner für die eine und Beschützer für die andere. Wie konnte er beides ins Gleichgewicht bringen? Er würde noch Jahre über diese Frage nachgrübeln.
An diesem Morgen in der Küche wollte Zeitoun Kathy keine Gelegenheit bieten, den Kindern die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen. Er winkte zum Abschied.
Aisha klammerte sich an sein Bein. »Nicht gehen, Baba«, sagte sie. Sie hatte einen Hang zu theatralischen Auftritten – Kathy nannte sie Dramarama –, und die ganze Jane-Austen-Begeisterung hatte diese Neigung noch verstärkt.
Er war in Gedanken bereits bei der Arbeit, die heute auf ihn wartete, und hatte, obwohl es erst halb acht war, schon das Gefühl, spät dran zu sein.
Zeitoun blickte zu Aisha hinunter, nahm ihr Gesicht in beide Hände, lächelte über die winzige Vollkommenheit ihrer dunklen feuchten Augen und zog sie dann von seinem Schienbein weg, als würde er aus einer durchnässten Hose steigen. Sekunden später war er in der Einfahrt und belud den Transporter.
Aisha ging nach draußen, um ihm zu helfen, und während Kathy den beiden zusah, dachte sie über seinen Umgang mit den Mädchen nach. Der war schwer zu beschreiben. Er war kein übermäßig zärtlicher Vater, und doch hatte er nie etwas dagegen, wenn die Mädchen ihn ansprangen und an ihm herumzerrten. Er war streng, das ja, aber auch abgelenkt genug, um ihnen den Freiraum zu geben, den sie brauchten, und nachgiebig genug, um sich nötigenfalls von ihnen ausnutzen zu lassen. Und selbst wenn er sich über irgendetwas ärgerte, blieb das hinter seinen graugrünen Augen mit den langen Wimpern verborgen. Er war dreizehn Jahre älter als Kathy, weshalb sie, als sie sich kennenlernten, nicht auf Anhieb von der Aussicht auf eine Heirat begeistert gewesen war, doch diese Augen, die das Licht festzuhalten schienen, hatten sie in ihren Bann gezogen. Sie waren verträumt, aber auch scharfsichtig, taxierend – die Augen eines Unternehmers. Wenn er ein heruntergekommenes Gebäude sah, hatte er nicht nur die Vorstellungskraft, um sich auszumalen, was daraus werden könnte, sondern er konnte auch sagen, wie viel die Renovierung kosten und wie lange sie dauern würde.
Kathy ordnete ihren Hijab in der Fensterscheibe und schob einige verirrte Haarsträhnen hinein – eine nervöse Angewohnheit –, während sie zusah, wie Zeitoun in einer wirbelnden grauen Wolke aus der Einfahrt fuhr. Sie brauchten dringend einen neuen Transporter. Ihr jetziger war ein schrottreifes weißes Monstrum, uralt, aber zuverlässig, beladen mit Leitern und Holz und klappernden losen Schrauben und Pinseln. Auf der Seite prangte ihr allgegenwärtiges Logo, der Schriftzug ZEITOUN A. PAINTING CONTRACTOR mit einem Regenbogen, an dessen Ende ein Farbroller lag. Das Logo war kitschig, wie Kathy zugab, aber einprägsam. Jeder in der Stadt kannte es von Bushaltestellen und Bänken und Reklametafeln auf Rasenflächen. Es war in New Orleans so verbreitet wie Virginia-Eichen und Königsfarn. Aber am Anfang war es nicht bei allen auf Gegenliebe gestoßen.
Als Zeitoun es entwarf, hatte er keine Ahnung, dass ein Logo mit einem Regenbogen etwas anderes bedeuten könnte als eine Palette von Farben und Schattierungen, aus denen Kunden auswählen könnten. Doch es dauerte nicht lange, da wurde ihm und Kathy klar, was für Signale sie aussandten.
Sie bekamen plötzlich Anrufe von schwulen und lesbischen Paaren, und das war gut, gut fürs Geschäft. Aber andererseits verloren manche potenzielle Kunden beim Anblick des Transporters das Interesse an Zeitoun A. Painting Contractor LLC. Einige Mitarbeiter kündigten, weil sie fürchteten, die Leute würden sie für schwul halten, wenn sie unter dem Regenbogen von Zeitoun Painting arbeiteten.
Als Zeitoun und Kathy endlich begriffen, welche Symbolkraft der Regenbogen hatte, führten sie ein ernstes Gespräch darüber.
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