Zeitoun (German Edition)
Menschen bezahlen und von ihnen Geld kassieren, Häuser renovieren und instand halten, Rechnungen begleichen und schreiben, Materialien kaufen und lagern.
Aber Kathy liebte ihr Leben, so wie es war, und die Familie, die sie und Zeitoun gegründet hatten. Jetzt fuhr sie ihre drei Mädchen zur Schule, und sie war jede Stunde eines jeden Tages dafür dankbar, dass sie eine Privatschule besuchen konnten, dass ihr Studium schon jetzt gesichert war, dass sie alles hatten, was sie brauchten, und noch mehr.
Kathy war als eines von neun Kindern in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, und Zeitoun war als achtes von dreizehn Kindern mit praktisch nichts großgezogen worden. Wirklich erstaunlich, was sie sich inzwischen aufgebaut hatten – eine große Familie, einen florierenden Betrieb, Freunde in jedem Viertel ihrer Wahlheimatstadt und Kunden in fast jedem Block, an dem sie vorbeifuhren, so fest waren sie inzwischen hier verankert –, auch das waren Segnungen von Gott.
Wie könnte sie zum Beispiel Nademah als selbstverständlich betrachten? Wie hatten sie ein solches Kind zustande gebracht – so gescheit und beherrscht, so pflichtbewusst, hilfsbereit und reif für ihr Alter? Sie war jetzt schon praktisch eine Erwachsene, so schien es – sie sprach auf jeden Fall wie eine, häufig wohlüberlegter und besonnener als ihre Eltern. Kathy warf ihr einen Blick zu, wie sie da auf dem Beifahrersitz saß und am Radio spielte. Sie war schon immer aufgeweckt gewesen. Als sie fünf war, höchstens fünf, war Zeitoun einmal zum Mittagessen nach Hause gekommen, wo Nademah gerade auf dem Fußboden spielte. Sie blickte zu ihm hoch und verkündete: »Daddy, ich will Tänzerin werden.« Zeitoun zog seine Schuhe aus und setzte sich auf die Couch. »Wir haben schon zu viele Tänzer in der Stadt«, sagte er. »Wir brauchen Ärzte, wir brauchen Anwälte, wir brauchen Lehrer. Ich möchte, dass du Ärztin wirst, damit du dich um mich kümmern kannst.« Nademah überlegte einen Moment und sagte dann: »Na gut, dann werde ich Ärztin.« Sie malte weiter mit ihren Buntstiften. Eine Minute später kam Kathy, die gerade gesehen hatte, was für eine Unordnung in Nademahs Zimmer herrschte, die Treppe herunter. »Räum dein Zimmer auf, Demah«, sagte sie. Ohne zu zögern und ohne von ihrem Malbuch aufzublicken, erwiderte Nademah: »Das mach ich nicht, Mama. Ich werde mal Ärztin, und Ärztinnen räumen nicht auf.«
Im Auto, kurz vor der Schule, drehte Nademah das Radio lauter. In den Nachrichten kam etwas über den drohenden Sturm. Kathy hörte kaum hin, weil es bestimmt drei- oder viermal pro Saison irgendwelche verfrühten panischen Meldungen gab, dass Hurrikane geradewegs auf die Stadt zusteuerten, und doch änderten sie jedes Mal die Richtung oder verloren in Florida oder über dem Golf an Kraft. Wenn überhaupt mal ein Sturm New Orleans erreichte, dann hatte er sich längst abgeschwächt und brachte höchstens einen Tag lang graue Windböen und Regen.
In den Nachrichten hieß es jetzt, es sei ein Sturm der Kategorie 1, der in den Golf von Mexiko zog. Er befand sich ungefähr 45 Meilen nordnordwestlich von Key West und bewegte sich in westlicher Richtung. Kathy schaltete das Radio aus; die Kinder sollten sich keine Sorgen machen.
»Meinst du, der kommt hierher?«, fragte Nademah.
Kathy hielt das Ganze für eine Bagatelle. Wer machte sich schon Gedanken über Kategorie 1 oder 2? Sie sagte zu Nademah, es wäre harmlos, absolut harmlos, und gab den Mädchen zum Abschied einen Kuss.
Drei Autotüren knallten, und dann war Kathy unversehens und absolut allein. Als sie von der Schule wegfuhr, machte sie das Radio wieder an. Vertreter der Stadt erteilten die üblichen Empfehlungen, die Bewohner sollten sich mit Vorräten für drei Tage eindecken – Zeitoun achtete immer darauf –, und dann war von Winden die Rede, die sich mit 110 Meilen die Stunde bewegten, und von Sturmwellen.
Sie schaltete das Radio wieder aus und rief Zeitoun auf dem Handy an.
»Hast du von dem Sturm gehört?«, fragte sie.
»Ich höre unterschiedliche Dinge«, sagte er.
»Glaubst du, es ist ernst?«, fragte sie.
»Ehrlich? Ich weiß es nicht«, sagte er.
Zeitoun hatte das Wort »ehrlich« neu erfunden, indem er viele seiner Sätze mit »Ehrlich?« einleitete, als eine Art Räusperer. Kathy stellte ihm zum Beispiel eine Frage, und er sagte: »Ehrlich? Das ist eine komische Geschichte.« Er erzählte gern Anekdoten und Gleichnisse aus Syrien, zitierte aus dem Koran,
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