Zeitoun (German Edition)
Kathy nach Houston fuhr, organisierte Yuko eine Übernachtungsmöglichkeit für die Familie bei einer langjährigen Freundin, die sie Miss Mary nannte. Ebenso wie Yuko und Kathy war Mary eine Amerikanerin, die christlich erzogen worden und als Erwachsene zum Islam übergetreten war. Jetzt hatte sie ihr Haus in einen Zufluchtsort für Familien umgewandelt, die vor dem Sturm geflohen waren, und als Kathys Odyssey in die Einfahrt bog, waren schon ein Dutzend oder mehr Leute dort, allesamt Muslime aus New Orleans und anderen Teilen von Louisiana und Mississippi.
Mary, eine Frau in den Vierzigern mit strahlenden Augen, begrüßte Kathy und die Kinder am Auto. Nach einer festen Umarmung, die bei Kathy prompt wieder Tränen auslöste, half sie den Neuankömmlingen mit dem Gepäck und führte sie ins Haus. Den Kindern zeigte sie den Pool im Garten, und im Handumdrehen planschten alle vier glücklich im Wasser. Kathy sank auf die Couch und versuchte, an gar nichts zu denken.
Als Zeitoun zurück zu seinem Haus auf der Dart Street kam, trieb sein Zelt im Wasser. Es war vom Dach geweht worden – wahrscheinlich, so vermutete er, von einem Hubschrauber. Er fischte es aus dem Wasser und baute es wieder auf, wischte das Innere mit Handtüchern trocken und suchte dann im Haus nach irgendetwas, um es zu beschweren. Er trug stapelweise Bücher nach draußen, diesmal die dicksten, die er finden konnte, und legte sie auf die Zeltecken.
Als er gerade im Zelt war, um es zu stabilisieren, hörte er einen weiteren Hubschrauber näher kommen. Das Geräusch war ohrenbetäubend. Zeitoun dachte, der Helikopter würde über das Haus hinwegfliegen, aber als er den Kopf hinausstreckte und nach oben schaute, sah er, dass die Maschine genau über seinem Haus schwebte, über ihm. Die zweiköpfige Besatzung machte ihm Zeichen.
Er winkte, sie sollten weiterfliegen, versuchte, ihnen begreiflich zu machen, dass es ihm gut ging. Aber das schien ihr Interesse nur noch mehr zu wecken. Einer der Männer begann schon, einen Korb zu ihm hinunterzulassen, als Zeitoun auf die Idee kam, ihm das Daumen-hoch-Zeichen zu geben. Er deutete auf sein Zelt, dann auf sich, reckte mehrfach hektisch beide Daumen in die Luft und machte zusätzlich das Okay-Zeichen mit Daumen und Zeigefinger. Schließlich begriff der Mann, dass Zeitoun bleiben wollte, und machte Anstalten, ihm ein eingeschweißtes Sechserpack Wasserflaschen hinunterzuwerfen. Wieder versuchte Zeitoun, ihn durch Winken davon abzuhalten, doch vergeblich. Das Sechserpack kam angeflogen, und Zeitoun sprang beiseite, ehe es aufs Zelt krachte und aufplatzte und die Plastikflaschen wild durch die Gegend hüpften. Zufrieden schwenkte der Hubschrauber ab und verschwand.
Zeitoun baute seinen Unterschlupf erneut auf und wollte sich schlafen legen. Doch wie in der Nacht zuvor fand er keine Ruhe, weil ihm ständig die Ereignisse des Tages durch den Kopf gingen. Er saß auf dem Dach und beobachtete die Manöver der Hubschrauber, die über der Stadt kreisten und hin und her flogen. Er machte Pläne für den kommenden Tag: Er würde sich weiter Richtung Innenstadt vorwagen, er würde die Auffahrtsrampe zur I-10 erneut aufsuchen, er würde nachsehen, in welchem Zustand ihr Büro und das Lager in der Dublin Street waren. Im Erdgeschoss lagerten die Arbeitsmaterialien – Werkzeuge, Farben, Pinsel, Abdeckplanen, einfach alles –, und im ersten Stock befanden sich die Büroräume mit Computern, Akten, Plänen, Rechnungen, Besitzurkunden der Immobilien. Er verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, was wohl aus dem Gebäude geworden sein mochte, das ohnehin schon ziemlich wackelig gewesen war.
Die ganze Nacht hindurch flogen die Hubschrauber. Ansonsten war es ruhig; er hörte keine Hunde. Nach seinen Gebeten schlief er unter einem dröhnenden Himmel ein.
FREITAG, 2. SEPTEMBER
Am Morgen stand Zeitoun früh auf, kletterte nach unten in sein Kanu und paddelte über die Straße, um die Hunde zu füttern. Sie winselten, als er näher kam, und er fasste das als Zeichen der Erleichterung und Dankbarkeit auf. Er stieg in den Baum, balancierte über die Planke zu dem rechten Haus und kroch durchs Fenster. Er warf den Hunden zwei große Steaks hin und füllte ihren Wassernapf auf. Während die Tiere beschäftigt waren, kletterte er aus dem Fenster und stieg vorsichtig zum zweiten Haus hinüber, um das andere Hundepaar zu füttern. Sie bellten und wedelten mit den Schwänzen, und er fütterte sie mit zwei Stücken Lammfleisch, ehe
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