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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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richtig gespannt darauf zu sehen, welches Bild der etwas höher gelegene Campus wohl bieten würde.
    »Ruf morgen Mittag wieder an«, sagte sie.
    »Aber ja«, sagte Zeitoun.
    Ehe er weiterfuhr, rief Zeitoun seinen Bruder Ahmad an. Nachdem Ahmad seiner Erleichterung darüber Ausdruck verliehen hatte, von ihm zu hören, wurde er ernst.
    »Du musst da weg«, sagte Ahmad.
    »Nein, nein. Mir geht’s gut. Alles bestens«, sagte Zeitoun.
    Ahmad versuchte, die Großer-Bruder-Karte auszuspielen. »Du gehörst zu deiner Familie«, sagte er. »Ich möchte wirklich, dass du die Stadt verlässt. Deine Familie braucht dich.«
    »Hier werde ich mehr gebraucht«, sagte Zeitoun, bemüht, sich nicht allzu wichtigtuerisch anzuhören. »Die Leute hier sind auch meine Familie.«
    Einer solchen Behauptung konnte Ahmad nichts entgegensetzen.
    »Das Telefonat ist teuer«, sagte Zeitoun. »Ich ruf dich morgen wieder an.«
    An der Universität angekommen, stand das Wasser so niedrig, dass er bequem vom Kanu auf trockenen Boden gelangen konnte. Er ging in den gefliesten Hof des Masjid ar-Rahmah und sah sich um. Der Boden war übersät mit abgerissenen Ästen, doch ansonsten war kein Schaden entstanden. Er wollte gerade hineingehen, als er einen Mann aus der Seitentür des Gebäudes kommen sah.
    »Nasser?«, sagte er.
    Nasser Dayoob, der ebenfalls aus Syrien stammte, hatte das Land 1995 verlassen und war zunächst in den Libanon gereist. In Beirut versteckte er sich als blinder Passagier auf einem Tanker, ohne zu wissen, wohin das Schiff fuhr. Wie sich herausstellte, waren die Vereinigten Staaten das Ziel, wo Nasser unmittelbar nach dem Anlegen Asyl beantragte. Irgendwann wurde es ihm gewährt, doch in der Zwischenzeit war er bereits nach New Orleans gezogen. Während sein Asylverfahren lief, hatte er im Masjid ar-Rahmah gewohnt.
    »Abdulrahman?«
    Sie gaben sich die Hand und erzählten sich gegenseitig, was sie seit dem Sturm gemacht hatten. Nassers Haus im Stadtteil Broadmoor, der an Uptown grenzte, war überflutet, und er hatte bei der Studentenorganisation Unterschlupf gesucht, weil er wusste, dass das Gebäude höher lag.
    »Willst du hierbleiben oder mit mir kommen?«, fragte Zeitoun.
    Nasser wusste, dass er auf dem Campus sicher war, weil hier kaum mit weiteren Überflutungen oder Übergriffen zu rechnen war, aber er beschloss trotzdem, Zeitoun zu begleiten. Auch er wollte sehen, was aus der Stadt und seinem Zuhause geworden war.
    Er lief zurück ins Gebäude, um seine Reisetasche zu holen, und stieg dann mit ins Kanu. Zeitoun gab ihm das zweite Paddel, und sie fuhren los.
    Nasser war fünfunddreißig und groß gewachsen mit Sommersprossen und einem dichten roten Haarschopf. Er war still und wirkte immer leicht nervös. Als Kathy ihn kennenlernte, hatte er auf sie einen zerbrechlichen Eindruck gemacht. Er war Gelegenheitsanstreicher und hatte auch verschiedentlich für Zeitoun gearbeitet. Sie waren nicht eng befreundet, aber auf eine gewisse Weise fand Zeitoun es tröstlich, Nasser hier nach der Überflutung zu treffen. Die beiden einte eine Reihe gemeinsamer Erfahrungen – Syrien, die Emigration nach Amerika und New Orleans, die Arbeit als Handwerker.
    Während sie paddelten, unterhielten sie sich darüber, was sie bis dato alles gesehen, was sie gegessen, wie sie geschlafen hatten. Beide Männer hatten das Hundegebell gehört. Die ganze Nacht hindurch Hundegebell. Und auch Nasser hatte Hunde in leeren Häusern gefüttert, auf den Straßen, überall, wo er welche angetroffen hatte. Das war einer der seltsamsten Aspekte dieser Zwischenzeit, nach dem Sturm, aber bevor die Rückkehr in die Stadt einsetzte – diese unzähligen zurückgelassenen Tiere.
    Der Wind war jetzt stärker. Sie kämpften sich durch den peitschenden Regen und kamen an der Post unweit der Kreuzung Jefferson Davis Parkway und Lafitte Street vorbei. Der dortige Parkplatz war zum Sammelplatz für Evakuierungen gemacht worden. Bewohner, die aus der Stadt ausgeflogen werden wollten, konnten zur Post kommen, von wo aus sie mit Hubschraubern – voraussichtlich – in Sicherheit gebracht werden würden.
    Als sie näher kamen, erkundigte sich Zeitoun, ob Nasser die Stadt verlassen wollte. Noch nicht, sagte Nasser. Er hatte von Leuten gehört, die unter Highwaybrücken ausharren mussten, und das wollte er sich ersparen. Er würde so lange in der Stadt bleiben, bis ihm verlässliche Meldungen von erfolgreichen Evakuierungen zu Ohren kamen. Zeitoun bot ihm an, in dem Haus auf

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