Zeitoun (German Edition)
beunruhigte Zeitoun. Während sie miteinander sprachen, schaute er sich im Haus um. Es gab keinerlei Anzeichen für Diebstahl oder irgendein anderes Verbrechen, weder aufgebrochene Schlösser, noch eingeschlagene Fenster. Vielleicht war der Mann ein Bekannter von Todd gewesen? Er versicherte Kathy, dass sie sich überhaupt keine Sorgen machen müsste und er der Sache auf den Grund gehen würde.
Kathy, die jetzt ruhiger war, freute sich, dass er den Hunden hatte helfen können, dass er sich nützlich fühlte. Aber sie wollte nicht, dass er noch länger in New Orleans blieb, ganz egal, wie viele Hunde er fütterte oder wie viele Leute er fand und rettete.
»Ich möchte wirklich, dass du die Stadt verlässt«, sagte sie. »Die Nachrichten sind richtig schlimm. Es gibt Plünderungen und Tote. Dir wird irgendwas zustoßen.«
Zeitoun konnte hören, wie besorgt sie war. Aber sie beschrieb ein Chaos, von dem er absolut nichts mitbekommen hatte. Falls es dieses Chaos überhaupt gab – und sie wusste ja selbst, wie die Medien waren –, dann konnte es nur im Stadtzentrum sein. Wo er war, sagte er, war alles so still, so ruhig, so unwirklich und fremdartig, dass er unmöglich in Gefahr sein konnte. Vielleicht, so sagte er, gab es ja einen Grund dafür, dass er geblieben war, dass er das Kanu gekauft hatte, dass er sich gerade zu diesem Zeitpunkt in gerade dieser Situation befand.
»Ich habe das Gefühl, als müsste ich hier sein«, sagte er.
Kathy schwieg.
»Es ist Gottes Wille«, sagte er.
Darauf hatte sie keine Antwort.
Sie kamen auf praktische Fragen zu sprechen. In Yukos Haus in Phoenix funktionierte Kathys Handy nie gut, also gab sie Zeitoun Yukos Festnetznummer. Er schrieb sie auf einen Zettel, den er neben das Telefon legte.
»Sorg dafür, dass die Kinder zur Schule gehen, wenn ihr in Phoenix seid«, sagte er.
Kathy verdrehte die Augen.
»Natürlich«, sagte sie.
»Ich liebe dich und sie«, sagte er, und sie legten auf.
Er fuhr wieder los und sah prompt Charlie Ray, der gleich rechts von dem Haus auf der Claiborne wohnte. Er war ein blauäugiger Schreiner von Mitte fünfzig, ein freundlicher und unbekümmerter Einheimischer, den Zeitoun schon seit Jahren kannte. Er saß auf seiner Veranda, als wäre es ein ganz normaler Tag.
»Du bist also auch geblieben«, sagte Zeitoun.
»Sieht so aus.«
»Brauchst du irgendwas? Wasser?«
Charlie verneinte, meinte aber, das könne sich schnell ändern. Zeitoun versprach, bald wieder nach ihm zu sehen, und paddelte davon, verwundert darüber, wie viele Menschen in der Stadt geblieben waren. Wenn Frank geblieben war und auch Todd und Charlie dem Sturm standgehalten hatten, dann gab es bestimmt noch Zehntausende mehr. Er war nicht allein in seinem Trotz.
Er paddelte weiter und wusste, dass er eigentlich müde sein müsste. Aber er war überhaupt nicht müde. Er hatte sich nie stärker gefühlt.
An diesem Tag wagte er sich weiter Richtung Stadtzentrum vor. Er sah Familien, die durch das Wasser wateten und Waschwannen mit ihrer Habe vor sich herschoben. Er paddelte an zwei Frauen vorbei, die ein aufblasbares Planschbecken schoben, in dem sie ihre Kleidung und Lebensmittel verstaut hatten. Jedes Mal fragte Zeitoun, ob er irgendwie helfen könne, und gelegentlich wurde er um ein oder zwei Flaschen Wasser gebeten. Er gab ihnen, was er gerade hatte. Er fand so vieles – Mineralwasserflaschen, Packungen mit Notrationen, wie sie beim Militär verteilt wurden, Konserven –, und immer, wenn er Leute traf, gab er ihnen, was er gerade im Kanu hatte. Er hatte für sich selbst mehr als genug zu Hause und wollte sich nicht mit zusätzlichem Gewicht belasten.
Er paddelte zur Auffahrtsrampe der I-10 an der Kreuzung Claiborne Avenue und Poydras Street, eine Betonkonstruktion, die die Wasseroberfläche um drei Meter überragte. Dort warteten Dutzende von Menschen auf Rettung. Ein Hubschrauber hatte Wasser und Lebensmittel abgeladen, und sie schienen gut versorgt zu sein. Sie fragten Zeitoun, ob er Wasser brauche, und er sagte, er habe selbst genug, werde es aber Leuten bringen, die es brauchten. Sie gaben ihm einen Kasten mit. Als er sein Kanu wendete, bemerkte er eine Handvoll Hunde bei der Gruppe, die meisten von ihnen noch Welpen. Sie wirkten gesund und gut genährt und lagen geschützt vor der Hitze im Schatten der Autos.
Zeitoun vermutete die schlimmsten Zustände im Zentrum und beschloss, sich nicht weiter vorzuwagen. Er wendete und paddelte zurück zur Dart Street.
Während
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