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Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)

Titel: Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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Gesichtsausdruck des Kellners war den Preis des Abendessens wert.

20
     
    31. Mai 1963
     
    Albert Coopers Rigorosum begann recht gut. Gates, ein Hochenergie-Physiker, begann mit einem Standardproblem. »Mr. Cooper, stellen Sie sich zwei Elektronen in einer eindimensionalen Schachtel vor! Können Sie uns die Wellenfunktion dieses Zustands aufschreiben?« Gates lächelte freundlich; er versuchte, die Spannung zu zerstreuen, die mündliche Prüfungen immer hatten. Irgendwo versagte der Student fast immer; aus reiner Nervosität war er plötzlich nicht mehr in der Lage, ein simples physikalisches Problem zu beschreiben.
    Cooper arbeitete sich durch die ersten Schritte der Lösung, indem er das niedrigste Energieniveau umriss. Dann stockte er. Gordon wusste nicht, ob es Unsicherheit oder kalkulierte Verzögerungstaktik war. Seit kurzem waren die Studenten darauf gekommen, durch stumme Pausen dem Prüfungskomitee Hinweise zu entlocken. Oft funktionierte es. Nach einem Moment sagte Gates: »Nun gut … Müsste der räumliche Teil der Wellenfunktion symmetrisch sein?« Schließlich antwortete Cooper: »Äh … nein. Ich glaube nicht. Die Spins müssten …« Und dann kam er, mit gelegentlichen kurzen Stockungen, bis zum Ende des Problems.
    Gordon spürte eine innere Unruhe, als Gates Cooper durch eine Reihe von Routinefragen lenkte, die alle dazu dienten, herauszufinden, ob der Kandidat den allgemeinen Hintergrund des Dissertationsproblems kannte, das er sich vorgenommen hatte. Die Klimaanlage summte leise, Coopers Kreide kratzte quietschend über die Tafel. Gordon betrachtete Carroway, den Astrophysiker. Von dort war nichts zu befürchten. Carroway wirkte gelangweilt; er wartete ungeduldig auf das Ende dieses Rituals, um zu seinen Berechnungen zurückkehren zu können. Das vierte und letzte Mitglied des Ausschusses war das einzige Problem: Isaac Lakin. Als leitender Professor im Bereich von Coopers Doktorarbeit war seine Anwesenheit unumgänglich.
    Gates kam mit seinen einfachen Fragen zum Ende, Carroway gab mit schläfrigem Blinzeln an Lakin weiter. Jetzt kommt’s, dachte Gordon.
    Aber so direkt ging Lakin nicht vor. Er begann mit Cooper eine Diskussion über dessen Experiment – gewöhnlich sicherer Boden für den Studenten, da er sich dort am besten auskannte. Lakin legte Wert auf die theoretische Untermauerung des Effekts der Kernresonanz. Mit sicheren Bewegungen schrieb Cooper die Gleichungen auf. Als Lakin nachhakte, wurde Cooper langsamer und hörte ganz auf. Er versuchte es erneut mit der Verzögerungstaktik. Lakin erkannte das und gab Cooper keinerlei Hinweise. Zum ersten Mal während der Prüfung zeigte Carroway Interesse. Gordon fragte sich, warum ein Student, der in Schwierigkeiten geriet, beim Prüfungsausschuss in der Regel größere Aufmerksamkeit auf sich zog; vielleicht war es der Jagdinstinkt. Oder die Sorge der Professoren, dass der Student, dessen Erfolg eigentlich vorausgesetzt wurde, plötzlich verhängisvolle Wissenslücken verriet. Beide Antworten waren zu einfach, schloss Gordon.
    Inzwischen hatte Lakin Cooper in die Enge getrieben. Lakin forderte ihn auf, ein klares Bild des theoretischen Modells zu zeichnen und die zugrunde liegenden Voraussetzungen zu beschreiben. Dann nahm Lakin Coopers Erklärung auseinander. Seine Aussagen seien vage, seine Ableitungen unsauber. Er habe zwei wesentliche Effekte vernachlässigt. Gordon verhielt sich ganz still, er wollte nicht unterbrechen, weil er sich an die Hoffnung klammerte, Cooper würde sich nach diesem schnellen Sturm von selbst wieder fangen und richtig antworten. Doch seine Hoffnung schwand. Gordon erinnerte sich an einen Kommentar, den Lakin vor einigen Jahren zu einer Dissertation geschrieben hatte: »Junger Mann, vieles in dieser Arbeit ist originell, und vieles ist korrekt. Leider ist das, was korrekt ist, nicht originell, und das, was originell ist, nicht korrekt.«
    Carroway schaltete sich mit einigen eindringlichen Fragen ein. Cooper schien weiterzukommen, begann dann jedoch wieder, auf Zeit zu spielen. Aber in einer zweistündigen Prüfung gibt es mehr als genug Zeit, Schwächen aufzudecken. Carroway hörte Coopers stockenden Antworten zu; seine Augen waren noch immer halb geschlossen, aber jetzt war er völlig wachsam, und auf seinem Gesicht machte sich Ärger breit. Gates starrte zu Cooper. Er konnte offenbar nicht verstehen, wie ein Student, der eben noch so scharfsinnig erschienen war, in solche Schwierigkeiten geraten konnte. Als

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