Zeitschaft: Meisterwerke der SF (German Edition)
Chandler-Zeit. Derselbe Kennedy, der den Vertrag durchgeboxt und Orion gestoppt hatte, machte die Nationalgarde von Alabama zur Bundestruppe, um George Wallace daran zu hindern, sie gegen das Integrationsprogramm einzusetzen. Medgar Evers war vor wenigen Monaten getötet worden. Das ganze Land wurde von dem Gefühl erfasst, dass sich etwas ändern musste.
Gordon warf die Zeitschrift zur Seite. Er rollte sich auf den Bauch und begann einzudämmern. Eine Seebrise trug den Gestank verrottenden Seetangs auf den Strand. Er verzog die Nase. Zum Teufel mit dem Druck der Zeit. Politik ist für den Augenblick, hatte Einstein einmal gesagt, eine Gleichung für die Ewigkeit. Wenn er die Seiten wählen müsste, wäre Gordon auf der Seite der Ewigkeit.
An diesem Abend führte er Penny zum Dinner und dann zum Tanz ins El Cortez aus. Normalerweise tat er so etwas nicht, aber die andauernde Spannung zwischen ihnen bedurfte einiger Aufmerksamkeit. Während des Essens unterhielten sie sich. Bei den Drinks danach begann er: »Penny, die Geschichte zwischen uns, sie ist kompliziert …« Sie erwiderte: »Nein, sie ist komplex.« Er hielt inne und sagte dann: »Na gut, okay …« Scharf sagte sie: »Das ist ein Unterschied.« Aus irgendeinem Grund ärgerte ihn das. Er beschloss zu schweigen. Sollte der Abend eben den seichten Verlauf nehmen, den sie zu mögen schien. Merkwürdig, wie sie in einem Moment eine hochintelligente, kompromisslose Literaturstudentin sein konnte und sich wenig später als gewöhnliches, mittelamerikanisches, trotziges Dutzendmädchen gab. Vielleicht war sie Teil dieser Zeit der Veränderungen.
Sie tanzten nur zu den langsamen Stücken. Sie bewegte sich anmutig und leicht in ihrem schlanken rosa Kleid. Er trug schwarze Schuhe, die aus seiner New Yorker Zeit übrig geblieben waren, und kam ab und zu aus dem Takt. Der Sänger hauchte mit Bluesstimme ins Mikrofon: »People stay, just a little bit longer. We wanna play, just a little bit more.« Plötzlich zog Penny ihn mit bemerkenswert kräftigem Griff an sich und flüsterte ihm »Sam Cooke« ins Ohr. Er wusste nicht, was sie meinte. Die Vorstellung zu wissen, wer einen bestimmten Schlager komponiert hatte, erschien nun beinahe unglaubhaft.
29
28. August 1963
D er Rauschpegel der KMR-Messungen begann zu steigen. Jeden Tag war er ein wenig höher. Gewöhnlich stellte Gordon die Veränderung bei der ersten Datenüberprüfung am Morgen fest. Er schrieb sie dem allmählichen Nachlassen einer Komponente des Aufbaus zu. Wiederholte Überprüfungen der möglichen Schwachstellen ergaben nichts. Auch Tests der weniger wahrscheinlichen Stellen halfen nicht. Jeden Tag wurde das Rauschen schlimmer. Zuerst dachte Gordon, es könnte sich um eine Art »spontaner Resonanzen« handeln. Das Signal war jedoch zu abgehackt, um Genaueres feststellen zu können. Er verbrachte mehr Zeit mit den Versuchen, das Signal/Rausch-Verhältnis zu verkleinern. Nach und nach nahm es den größten Teil seines Arbeitstags in Anspruch. Er kam nun auch nachts. Er saß vor dem Oszilloskop und beobachtete die Linien. Einmal, als er früh am Morgen eine Verabredung hatte, schlief er nachts im Labor. Eine Fourieranalyse des Rauschspektrums zeigte gewisse harmonische Komponenten, führte aber nicht weiter. Währenddessen stieg der phasengemittelte Rauschpegel.
»Gordon? Claudia Zinnes.«
»Oh, hallo. Ich hatte nicht erwartet, so bald von Ihnen zu hören.«
»Wir hatten einige Verzögerungen. Kleinigkeiten. Nichts Wesentliches, aber ich wollte Sie wissen lassen, dass wir innerhalb einer Woche auf Empfang sind.«
»Gut. Ich hoffe …«
»Ja, ja.«
Ein Santa-Ana-Wind blies durch die niedrigen Bergpässe an der Küste den prickelnden Hauch der Wüste herein. In den Hügeln brachen Buschfeuer aus. Der rote Wind, wie ihn einige Einheimische nannten. Gordon war ein wenig überrascht, als er spätabends aus dem Labor kam, dessen Klimaanlage alle äußeren Einflüsse fern hielt. Der Wind zerzauste sein Haar.
Am nächsten Tag, als er zum Chemiegebäude hinüberging, musste er wieder an diesen heißen, trockenen Hauch denken. Ramsey, der ihn in seinem Büro nicht erreichen konnte, hatte bei Joyce, der Abteilungssekretärin, eine Nachricht hinterlassen. Gordon überquerte die mit Sechseckflächen verzierte Brücke. Im Land der Chemie trat er in ein süß-saures Aroma, das zu stark und zu vielschichtig war, als dass die Klimaanlage es tilgen konnte. Er fand Ramsey in einem Wald aus
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