Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitschaft

Zeitschaft

Titel: Zeitschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
Vom Netzwerk:
gewesen, verunreinigtes Quecksilber wegzuschütten und neues zu kaufen. Als schwerstes Metall suchte es sich im Kanalisationssystem die tiefsten Stellen und sammelte sich dort. Sie brauchten nur einen Liter wiederzugewinnen, um den ganzen Aufwand lohnend zu machen.
    Renfrew und Johnny entfernten sich von der Gruppe und drangen in schmalere Schächte vor. Ihre Lampen warfen von der Oberfläche der Wasserpfützen funkelnde Reflektionen. »He, hier entlang, Dad«, rief Johnny. Die Akustik der Tunnel ließ jedes Wort hohl schallen. Renfrew drehte sich um und glitt plötzlich aus. Fluchend rutschte er in eine dreckige Pfütze. Johnny beugte sich vor. Der Strahl seiner Lampe erfaßte einen Faden trüben Quecksilbers. Renfrews Stiefel war in einen Spalt getreten, der sich an der Nahtstelle zweier Rohre gebildet hatte. Unter der Wasseroberfläche leuchtete das Quecksilber und gab einen schmutzig-warmen Glanz ab; eine dünne Schlange, hundert Guineen wert.
    »Ein Fund! Ein Fund!« jubelte Johnny. Sie saugten das Metall mit Unterdruckflaschen auf. Der Fund hatte ihre Stimmung beträchtlich gesteigert, Renfrew lachte gut gelaunt. Sie gingen weiter, entdeckten unerforschte Höhlen und dunkle Verstecke in dem unterirdischen Labyrinth. Johnny stieß auf eine hohe Nische, die verbreitert und mit Matratzen bestückt worden war. »Die Wohnung eines Stadtstreichers, nehme ich an«, murmelte Renfrew. Sie fanden Kerzenstummel und zerfledderte Taschentücher. »He, das hier ist von 1968, Dad«, sagte Johnny. Auf Renfrew machte es einen pornographischen Eindruck, er warf es mit der Titelseite nach unten auf die Matratze. »Wir sollten zurückgehen«, sagte er.
    Mit Hilfe ihrer Karte fanden sie eine Eisenleiter. In die Spätnachmittagssonne blinzelnd, kroch Johnny hinaus. Oben stellten sie sich in die Schlange, um ihren Metallfund dem Förderer der Jagdgruppe auszuhändigen. Entsprechend der zur Zeit vorherrschenden Theorie, überlegte Renfrew, wurden soziale Gruppierungen jetzt gefördert, nicht geleitet. Er beobachtete Johnny, der mit zwei Jungen in der Schlange ins Gespräch kam und sich den tastenden Annäherungsritualen einer solchen Situation unterwarf. Der Junge kam bereits in das Alter, in dem die Eltern ihn nicht mehr grundlegend beeinflussen konnten. Jetzt begann der Druck der Altersgenossen und der allgemeingültigen Regeln – auf bewährte Art mit dem Ball zu tricksen; die angemessene Verachtung für Mädchen zu zeigen, sich eine Pufferrolle zwischen natürlichen Tyrannen und den Tyrannisierten zu suchen, eine gewisse grobe, aber notwendigerweise vage Vertrautheit mit dem Sex und der Funktionsweise jener rätselhaften weichen Organe vorzutäuschen. Bald würde Johnny mit den verzehrenden Problemen des Heranwachsens konfrontiert sein – wie man es zum erstenmal mit einem Mädchen macht und so durch die Flamme zum Mann wird, ohne dabei in die Falle zu stolpern, die die Gesellschaft auslegt. Aber vielleicht war diese eher zynische Sichtweise inzwischen veraltet. Vielleicht hatte die Welle sexueller Freiheit, die frühere Generationen erfaßt hatte, alles leichter gemacht. Doch Renfrew argwöhnte, daß dies nicht zutraf. Was ihm am schlimmsten erschien: Er sah keine Möglichkeit, selbst in diese Entwicklung einzugreifen. Vielleicht war es das beste, sich auf die Intuition des Jungen zu verlassen. Welche Anleitung könnte er Johnny geben? »Sieh mal, mein Sohn, denk immer daran – nimm keine Ratschläge an!« Er konnte förmlich sehen, wie der Junge mit großen Augen erwiderte: »Aber das ist doch Unsinn, Daddy. Wenn ich deinen Ratschlag annehme, tue ich das Gegenteil dessen, was du sagst.« Renfrew lächelte. Überall sprossen Paradoxe.
    Eine kleine Studentengruppe begrüßte das Ergebnis der Jagd, insgesamt mehrere Kilogramm, mit großem Hallo. Jubelrufe ertönten. Ein Mann murmelte: »Wir leben von gestern.« Und Renfrew stimmte knapp zu: »Wie wahr.« Er hatte das Gefühl, daß hier das Wissen und die Rohstoffe der Vergangenheit ausgeschlachtet wurden, ohne etwas Neues zu schaffen. Wie das ganze Land, dachte er.
    Auf dem Heimweg wollte Johnny anhalten und den Bluebell Country Club besuchen – ein unerträglich aufgesetzter Name für ein Sommerhäuschen aus dem 18. Jahrhundert. Miss Bell führte darin für die Eigentümer, die fortgezogen waren, ein Katzenhotel. Einmal hatte Marjorie eine widerwärtige Katze aufgenommen, die Renfrew schließlich dort für dauernd untergebracht hatte; er hatte nicht das Herz, das Tier einfach

Weitere Kostenlose Bücher