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Zeitschaft

Zeitschaft

Titel: Zeitschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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in den Cam zu werfen. Miss Beils Zimmer stanken nach Katzenurin und tuberkulöser Feuchtigkeit. »Keine Zeit«, entgegnete Renfrew auf Johnnys Frage, und sie radelten an der Katzenbehausung vorbei. Danach fuhr Johnny ein wenig langsamer, sein Blick war starr. Renfrew bedauerte es sofort, so barsch gewesen zu sein. In letzter Zeit hatte er häufiger solche Momente, wurde ihm bewußt. Vielleicht machten seine Arbeit im Labor und die Abwesenheit von zu Hause ihn für die nachlassende Nähe zu Marjorie und den Kindern sensibler. Vielleicht gab es aber auch eine Zeit im Leben, in der einem vage bewußt wird, daß man den eigenen Eltern ähnlich ist und nicht ursprünglich reagierte. Gene und Umwelt hatten ihre eigene Dynamik.
    Über dem Horizont sah Renfrew eine merkwürdig geformte gelbe Wolke. Ihm fielen die Sommernachmittage ein, an denen er und Johnny die Wolkenbilder über London beobachtet hatten. »Sieh mal!« rief er und zeigte hinüber. Pflichtbewußt schenkte Johnny der gelben Wolke einen Blick. »Gleich pinkeln die Engel«, sagte Renfrew, »wie mein alter Herr immer sagte.« Von dem kleinen Ausschnitt aus der Familiengeschichte aufgemöbelt, lächelten beide.
    An einer Bäckerei in King’s Parade hielten sie an. Johnny wurde ein hungriger englischer Schuljunge, der kaum noch durchhalten konnte. Renfrew erlaubte ihm zwei Stück, aber keins mehr. An der Tür des Zeitungsladens nebenan verkündete eine Kreideaufschrift die tragische Nachricht, daß die Literaturbeilage der Times den Geist aufgegeben hatte, eine Information, die Renfrew kaum mehr interessierte als die Bananenproduktion auf Borneo. Die Schlagzeilen gaben keinen Hinweis darauf, ob finanzielle Erwägungen die Einstellung verursacht hatten oder – was Renfrew wahrscheinlicher erschien – ob es der Mangel an lohnenden Büchern war.
     
    Johnny polterte ins Haus, der Begrüßungsschrei seiner Schwester folgte prompt. Renfrew fühlte sich von der Radtour ein wenig erschöpft und merkwürdig deprimiert. Er saß im Wohnzimmer und versuchte, wenigstens einmal an gar nichts zu denken – was ihm mißlang. Das halbe Zimmer schien ihm völlig unvertraut. Antike Briefbeschwerer aus Glas, matt gewordene Kerzenständer, ein mit Blumen bestickter Lampenschirm, eine Gauguin-Reproduktion, ein sonderbar gemustertes Porzellanschwein auf dem Herd, ein Messingrelief einer mittelalterlichen Dame, ein heller Porzellanaschenbecher in Form einer Katze mit einem Dichterwort rund um den Rand. Kaum ein Quadratzentimeter, der nicht mit dumpfer Behaglichkeit gestaltet war. Als er dies alles registriert hatte, durchfuhr ihn die dünne, blecherne Stimme von Marjories Radio; wieder ging es um die Nicaragua-Sache. Die Amerikaner versuchten erneut, von der buntgemischten Gruppe der Nachbarregierungen die Zustimmung für einen Kanal auf Meeresniveau zu erhalten. Die Konkurrenz zum Panamakanal wäre angesichts der Tatsache, daß dieser die Hälfte des Jahres blockiert war, ein leichtes. Renfrew erinnerte sich an ein Interview der BBC zu diesem Thema, in dem der Saukerl aus Argentinien oder sonstwo den amerikanischen Botschafter attackiert hatte, weil die Amerikaner Amerikaner genannt wurden und die südlich der USA nicht. Die Argumentationskette führte geradewegs zu der Annahme, daß sich die USA, die sich den amerikanischen Namen angeeignet hatten, ebenso jeden neuen Kanal aneignen würden. Der Botschafter, in Fernsehdingen nicht sehr gewitzt, hatte mit einer rationalen Erklärung aufgewartet. Er stellte fest, daß kein südamerikanischer Staat das Wort Amerika im Namen führte und daher keinen nachdrücklichen Anspruch darauf hätte. Die Trivialität dieses Arguments im Angesicht eines Ausbruchs psychischer Energie des Argentiniers hatten den Botschafter deutlich ins Hintertreffen geraten lassen, als die Zuschauer am Telefon ihre Meinung zu der Diskussion äußerten. Der Botschafter hatte kaum einmal gelächelt oder in die Kamera gegrinst oder mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Wie hätte er da erwarten können, Medienwirkung zu erzielen?
    In der Küche fand er Marjorie, die, so schien es, die Einmachgläser zum drittenmal neu ordnete. »Irgendwie sieht es nicht gerade aus«, sagte sie verwirrt. Er setzte sich an den Küchentisch und goß sich Kaffee ein, der, wie erwartet, eher wie Hundefell schmeckte. Das war in jüngster Zeit immer so. »Ich bin sicher, sie sind gerade«, murmelte er. Aber dann schaute er genau hin, als sie die zylindrischen Behälter in die Regale hob,

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