Zeitschiffe
mich den Eindruck von typischen Stadtkindern mit ihren
schlecht sitzenden Stiefeln und schmutziger Haut und grinsten in die Kamera – von der Flut des Krieges mitgerissen, hilflos und ohne Heimat.
Jetzt trat die Show in einen Abschnitt ein, der den Untertitel ›Postscript‹ trug.
Zunächst erschien ein Portrait des Königs; er war, was mich irritierte, ein knochiger Bursche namens Egbert, der sich als entfernter Verwandter der alten Königin herausstellte, die ich seinerzeit gekannt hatte. Dieser Egbert war einer der wenigen Angehörigen der königlichen Familie, welche die heftigen deutschen Angriffe in der Anfangszeit des Krieges überlebt hatten. Und nun rezitierte ein Schauspieler mit affektierter Stimme ein Gedicht:
»...Möge es allen Menschen Wohlergehen / Möge es allen Dingen Wohlergehen /
Wenn die Flammenzungen sich zusammenrollen / Zu dem gekrönten Feuerknoten /
Und Feuer und Rose eins sind...«
Und so weiter! Soweit ich mir einen Reim darauf machen konnte, sollte diese
Elaborat die Auswirkungen des Krieges als Fegefeuer darstellen, das schließlich die Seelen der Menschheit läutern würde. Früher hätte ich mich dieser Betrach-tungsweise vielleicht angeschlossen, überlegte ich; aber seit meinem Aufenthalt im Innern der Sphäre war der Krieg für mich nicht mehr und nicht weniger als ein dunkler Auswuchs, eine Verwerfung der menschlichen Seele; und jede Begründung dafür war genau dies – die Tatsache an sich als Begründung.
Ich vermutete, daß Wallis mit diesem Kram nicht viel anfangen konnte. Er zuckte die Achseln. »Eliot«, meinte er, als ob damit alles gesagt wäre.
Jetzt erschien das Bild eines Mannes: ein ziemlich hagergesichtiger alter Bursche mit einem ausgeprägten Bart, müden Augen, häßlichen Ohren und einer verbisse-nen, frustrierten Ausstrahlung. Er saß mit einer Pfeife in der Hand an einem Kamin
– die Pfeife war augenscheinlich kalt – und begann mit brüchiger Stimme die Ereignisse des Tages zu kommentieren. Der Bursche kam mir irgendwie bekannt vor, aber zunächst konnte ich ihn nicht einordnen. Wie es schien, war er von den Anstrengungen des Reiches nicht übermäßig beeindruckt – »Ihrer riesigen Maschinerie gelingt es nicht, auch nur einen Funken dieser poetischen Aktionen zu erzeugen, die den Unterschied zwischen Krieg und Massenmord darstellen. Sie sind
Maschinen – und haben daher keine Seele.«
Er hielt uns alle zu noch höheren Leistungen an. Er beschwor die Mythen des alten England – »die runden, grünen Hügel, die sich im dunstigen Blau des Himmels auflösen« – und bemühte unsere Vorstellung dieser Szenerie, die umgepflügt war
»wie die alte Front in Flandern, Schützengräben und Bombenkrater, zerstörte
Städte, umgepflügte Landschaften, ein todspeiender Himmel und die Gesichter
ermordeter Kinder« – all das verkündet mit einer verstohlenen apokalyptischen Vorfreude, wie es mir schien.
Die Wucht der Erkenntnis traf mich, denn ich wußte plötzlich, wer er war. Es war mein alter Freund, der Schriftsteller, der zu einem alten Mann verwelkt war!
»Wie, ist das nicht dieser Mr....?« fragte ich Wallis und beantwortete die Frage gleich selbst.
»Ja«, bestätigte er. »Kannten Sie ihn? Wäre wohl möglich gewesen... Natürlich kennen Sie ihn! Denn er hat die Geschichten Ihrer Zeitreisen herausgegeben. Ich weiß noch, daß sie als Serie im The New Review erschienen und dann auch in Buchform veröffentlicht wurden. Wissen Sie, es war ein drastischer Wendepunkt für mich, damit konfrontiert zu werden... der arme Kerl kommt natürlich auch jetzt noch zurecht – ich glaube, daß er nie bei bester Gesundheit gewesen ist – und seine Romane sind in meinen Augen auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
»Nein?«
»Zuviel Räsonnement und zu wenig Action – Sie kennen den Stil! Seine popu—
lärwissenschaftlichen und historischen Werke kommen aber immer noch gut an. Er ist ein guter Freund von Churchill – ich meine den Ersten Lord der Admiralität –, und ich vermute, daß Ihr Kumpel großen Einfluß auf die offizielle Vorstellung zu künftigen Entwicklungen nach Kriegsende nimmt – wenn wir das ›Hochland der
Zukunft‹ erreichen«, zitierte Wallis einen anderen Ausspruch meines früheren Freundes. »Aber er ist kein so guter Redner. In dieser Hinsicht favorisiere ich Priestley.
Kommen Sie«, meinte er voller Elan. »Lassen Sie uns noch ein Stück gehen. Die Shows werden hier sowieso in ziemlich kurzen Abständen
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