Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
einem unserer Gespräche mitten in der Nacht. Du bist oft nachts in meine Zelle gekommen und hast manchmal stundenlang mit mir geredet. Meistens wolltest du darüber sprechen, wie es war, als wir noch Kinder waren, aber manchmal hast du mir auch von euren Plänen erzählt. Von Staatsführern, die ihr ermordet habt, von Terroranschlägen, die ihr inszeniert oder vereitelt habt, oder von Naturkatastrophen, vor denen ihr gewarnt habt. Weißt du noch, als in New Orleans die Deiche brachen und die Stadt überflutet wurde?«
»Klar«, sagt er. »Aber die Stadt wurde rechtzeitig evakuiert.«
»Ursprünglich nicht. Du hast dafür gesorgt, dass niemand mehr in New Orleans war, als der Hurrikan über die Stadt hereinbrach, weil du dich daran erinnert hast, welche Tragödie es beim ersten Mal gab.«
»Siehst du?«, sagt er und reißt die Augen wie ein kleines Kind auf. »Ich tue Gutes. Das ist alles, was ich will: dass die Welt besser wird.«
»Ich weiß.« Einen Augenblick lang bin ich versucht, die Hand nach ihm auszustrecken, aber ich warte, bis sich das Verlangen danach wieder gelegt hat. »Ich denke, das ist der Grund, warum es einem Teil von mir so schwer fällt abzudrücken. Weil ich weiß, dass sogar dein zukünftiges Ich, das so viele schreckliche Dinge getan hat, immer noch ehrlich glaubt, dem Wohl aller zu dienen. In drei Jahren wird eine schmutzige Bombe in Manhattan hochgehen, Tausende umbringen und den gesamten Nordosten verseuchen.«
James’ Stimme ist nur noch ein Flüstern. »Und ich verhindere, dass sie explodiert?«
»Nicht wirklich«, sage ich. »Du, beziehungsweise eher Richter denkt, dass es nicht reicht, diesen einen Anschlag aufzuhalten, weil es immer andere geben wird. Anstatt also die Anschläge selbst zu verhindern, wollt ihr das Land weniger verwundbar für Anschläge machen. Deshalb schickt ihr Leute zurück in die Vergangenheit, zwei Jahre, ein Jahr, sechs Monate zurück, und lasst sie eine Reihe kleinerer Bomben in einem halben Dutzend Städte zünden. Hunderte, nicht Tausende sterben, und die Regierung erlässt Dutzende neuer Sicherheitsbestimmungen, gegen die die jetzige Situation wie eine Hippie-Kommune wirkt. Keine Reisen ohne Genehmigung, elektronische Überwachung, Körperscanner in jedem Gebäude, Überwachungskameras auf jeder Straße. Es wird unmöglich, etwas zu tun oder zu sagen oder zu kaufen, ohne dass die Regierung davon weiß. Die schmutzige Bombe explodiert nie, und auf gewisse Art leben wir sicherer denn je, aber …«
»Ich habe einen Polizeistaat erschaffen«, sagt James, und das Entsetzen ist seiner Stimme anzuhören. »Ein totalitäres Regime.«
»Richter ist schlimmer«, sage ich. »Er betrachtet die Zeit als Waffe, etwas noch Wirkungsvolleres als Bomben, das man gegen die Chinesen einsetzen kann oder gegen die Nordkoreaner oder gegen wen auch immer er gerade als Bedrohung betrachtet. Ich bin mir sicher, dass er dich zu vielen der schlimmsten Dinge gedrängt hat, für die du Cassandra benutzt hast, aber du warst schon so blind, dass du es nicht sehen konntest.«
»Warum bringst du dann nicht ihn statt mich um?«, will James wissen.
»Das haben wir versucht.« Es war Nummer vier auf der Liste. Diese Version von mir muss knallhart gewesen sein. »Hat nicht funktioniert. Ich vermute, dass es genug ehrgeizige, skrupellose Leute gibt, die seinen Platz in deinem Leben einnehmen können. Du glaubst daran, das Richtige zu tun, James, und das kann dir niemand nehmen. Am Ende läuft es für dich immer auf Zahlen hinaus. Du bist bereit, wenigen Menschen wehzutun, um viele zu retten.«
»Gehörst du zu den Menschen, denen ich wehgetan habe?«, fragt er.
Ich nicke. »In zwei Jahren verlassen Marina und Finn D . C. Das ist gleich nach der ersten Bombe, in San Francisco. Sie haben Angst, dass Richter sie beseitigen will, weil sie so viel wissen. Marina hat Aufzeichnungen mit einigen deiner Berechnungen für Cassandra …«
James runzelt die Stirn. »Nein, hat sie nicht. Es gibt nur meine Originale und die Kopien, die Nate gemacht hat, und die habe ich vernichtet.«
»Ich werde dir nicht erzählen, woher sie sie hat«, sage ich. »Dieses Geheimnis habe ich jahrelang gehütet, und ich werde es jetzt nicht verraten. Als Richter jemanden auf sie und Finn ansetzt, sind sie schon weg und haben die Aufzeichnungen mitgenommen.«
Plötzlich kippt der Raum. Die Zeit packt mich um die Mitte. Nein, nicht jetzt! Aber sie zieht mich mit sich, saugt mich in die Dunkelheit hinein.
Meine
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