Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Hände an mein Gesicht, um meinen Blick auf ihn zu lenken.
»Es wird schon gut gehen«, sagt er. Seine Worte sind über dem Dröhnen kaum zu verstehen.
Doch dann wird alles sehr still, wenigstens für mich. Irgendwie finde ich Ruhe in Finns dunkelblauen Augen. Gott, wie habe ich nur so lange in dieser Zelle überlebt, ohne in diese Augen sehen zu können?
Mich trifft eine furchtbare Erkenntnis. Sie ist so offensichtlich, dass ich nicht glauben kann, dass ich bis jetzt nicht daran gedacht habe. Mein Herz bricht und verströmt weiß glühende Qual in meinen Körper.
»Finn«, sage ich. Und dann erzähle ich ihm das Schreckliche, das ich endlich begriffen habe – zu spät, um etwas dagegen tun zu können.
Er sieht mir in die Augen und erklärt mir, warum ich mir keine Sorgen machen muss. Ich banne seine Worte in mein Gedächtnis – oder vielleicht auch mein Herz.
Über seine Schulter hinweg sehe ich eine Bewegung, und die Welt und ihr Lärm sind wieder da. Die Soldaten kommen. Als wir nicht hingesehen haben, hat Connor die Leichen aus dem Eingang geschafft und den Kontrollraum versperrt, doch die Tür ist nur eine armselige Barriere. Ich sehe entsetzt zu, wie sie auffliegt. Connor feuert in die hereindrängenden Leiber und schaltet Soldat um Soldat aus. Doch sie sind in der Überzahl und haben mehr Waffen. Rasch wird er überwältigt. Ich verberge mein Gesicht an Finns Brust, als ein Kugelhagel Connor niederstreckt und er zu Boden sinkt.
Aber ich kann nicht lange wegschauen. Soldaten strömen in den Kontrollraum. Die meisten eilen geradewegs zu dem umgekippten Serverschrank vor der Tür zur Kammer. Wenn sie die Tür öffnen, wird Cassandra automatisch heruntergefahren, und wir sind gescheitert.
Aber der Anblick, der mich erst wirklich mit Grauen erfüllt, ist der Doktor, der hinter den Soldaten den Raum betritt. Unsere Blicke treffen sich durch das zehn Zentimeter dicke Glas des Sichtfensters, und die Wut in seinem Gesicht fährt mir bis ins Mark. Ich glaube, dass er weiß, was ich vorhabe. Selbst wenn wir entkommen, wird mich dieser Blick durch die Zeit hinweg verfolgen.
Er geht zum Schaltpult. Das Grollen unter unseren Füßen fühlt sich jetzt wie ein Erdbeben an, doch mit dem Doktor am Schaltpult und den Soldaten an der Tür bleiben uns nur noch Sekunden. Ich presse Finns Hand so fest, dass ich spüre, wie seine Knochen aneinandergedrückt werden. Sie werden Cassandra anhalten und uns dann auf irgendeine langsame, einfallsreiche Art umbringen.
Doch sie kommen zu spät.
Als die Soldaten die Tür aufstemmen, explodiert die Welt, und mein Körper zerspringt in Schmerz und Feuer.
V IER
Marina
Vier Jahre zuvor
Ich zupfe abwesend an dem pinkfarbenen Nagellack auf meinem Daumennagel, während ich auf die Einfahrt nebenan schaue. Tamsin schlägt mir auf die Hand.
»Hör auf damit!« Sie untersucht den Nagel und seufzt. »Den werde ich noch mal machen müssen.«
»Er war sowieso ungleichmäßig«, sage ich. »Du wirst es überleben.«
Sophie, die ausgestreckt auf meinem Bett liegt, schaut nicht mal von ihrem Handy hoch, während sie spricht. »Wenigstens kaut sie nicht mehr darauf herum.«
»Ja, stimmt. Das war ja sooo eklig.«
Eigentlich kaue ich immer noch ab und zu an meinen Nägeln, aber ich achte darauf, es nicht vor meinen Freundinnen zu tun. Ich habe mich immer noch nicht an das Gefühl des Nagellacks gewöhnt; es ist, als würden meine Nägel ersticken. Aber Tam sagt, dass wir meiner perfekten Farbe immer näher kommen, irgendetwas, das zu dem pflaumenfarbenen »Sophie-so-fein« und dem hellroten »Tam-erika« passt.
»Marina …«, sagt Tamsin, während sie eine Schicht Lack auf die Nägel meiner rechten Hand aufträgt. »Marina … Dein Name weckt überhaupt keine Assoziationen.«
Sophies Kopf schnellt in die Höhe. »Aqua Marina!«
»Ich lackiere ihre Nägel pink , du Genie. Das passt besser zu braunem Haar.«
Ich höre nur halb zu. Mein Blick schweift zum Fenster und zum Haus nebenan. Tamsin schaut auf und erwischt mich.
»Er ist nicht aufgetaucht, seitdem du vor zehn Sekunden rübergesehen hast«, sagt sie und grinst mich an.
Ich überlege, mich dumm zu stellen, aber am Ende rolle ich nur mit den Augen. »Halt die Klappe.«
Es hat keinen Sinn, so zu tun, als würde ich nicht darauf warten, dass James nach Hause kommt. In den drei Wochen, in denen er fort war, habe ich nur eine einzige SMS von ihm bekommen, in der er schrieb, dass er heute Abend aus Connecticut zurückkehren würde.
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