Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Normalerweise hätten wir während seiner gesamten Abwesenheit telefoniert und uns SMS geschrieben, aber es fühlte sich zu seltsam an, nach dem, was passiert ist, bevor er wegging.
»Er wird dich bestimmt fragen, ob du mit ihm ausgehst«, sagt Sophie, während sie zu meinem Schrank hinübergeht und beginnt, meine Klamotten zu durchwühlen. »Ich kann nicht glauben, dass du James Shaws Freundin wirst!«
»Ich weiß nicht«, sage ich. Ich bin so ziemlich in James verliebt, seit ich denken kann, aber ich hatte nie die Hoffnung, dass er dasselbe empfinden könnte. Wenn man bedenkt, wer er ist und wer ich bin, ist es eigentlich unmöglich.
»Oh bitte.« Tamsin pustet über meine frisch pink lackierten Nägel. »Er hat dich fast geküsst, und für James ist das praktisch ein Heiratsantrag. Hat er jemals zuvor ein Mädchen geküsst?«
Ich bezweifle es, doch allein bei der Vorstellung, dass James ein anderes Mädchen küssen könnte, dreht sich mir der Magen um. »Aber er hat seitdem nicht mal mit mir geredet! Heißt das nicht, dass er es bereut?«
»Nein, er war nur erschrocken, als er merkte, dass er total in dich verliebt ist«, sagt Tamsin. »Aber jetzt, da sein großes Gehirn Zeit hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen …«
»Ich wette, das ist nicht das Einzige, was groß an ihm ist«, sagt Sophie und zieht die Augenbrauen hoch.
Tamsin ächzt, und ich sage: »Widerlich!« Aber Sophie lacht nur und zieht sich meinen neuen Kaschmirpulli über.
»Ich meine es ernst!«, sagt sie. »Du weißt doch, dass du bei ihm den ersten Schritt tun musst, oder?«
»Absolut«, sagt Tamsin. »Aber du musst cool bleiben.«
»Und wie mache ich das?«, frage ich. Ich zittere und schwitze schon bei dem Gedanken daran. »Nicht alle von uns haben so viele Jungs besprungen, dass ihnen das leichtfällt.«
»Bei diesem Jungen?«, fragt Sophie. »Da sollte es verdammt leicht sein.«
Sophie gibt ein anzügliches Stöhnen von sich und küsst ihren Handrücken, und Tamsin und ich lachen. Das ist das Beste an Sophie – sie fürchtet nie, lächerlich auszusehen. Tamsin wiederum, mit ihrem vornehmen englischen Akzent und ihrem Bollywood-Star-Look, lässt alles, was sie tut oder sagt, cool aussehen. Also bin ich die Einzige, die sich fortwährend Sorgen macht, sie könnte sich blamieren. Ich könnte es nur nicht ertragen, wieder zu der Versagerin ohne Freunde zu werden, die ich einmal war.
Es klopft an meiner Zimmertür, und Sophie schlägt sich die Hand vor den Mund. »Sind deine Eltern zuhause?«, flüstert sie.
Ich winke ab. »Das ist Luz. Komm rein!«
Luz, die schon unsere Haushälterin ist, seitdem ich ein kleines Mädchen war, streckt den Kopf durch die Tür.
»Ich gehe nach Hause, mi querida «, sagt sie. »Hältst du durch, bis deine mamá kommt?«
Tamsin lacht, und ich erstarre.
»Ich bin sechzehn, Luz«, fauche ich. »Ich glaube, ich werde es überleben.«
Ich sehe, wie ein bekümmerter Ausdruck über das Gesicht der Frau huscht, und fühle mich kurz schlecht. Luz gehört zu den wenigen Menschen auf der Welt, die mich wirklich lieben, aber ich wünschte, sie würde mich nicht wie ein kleines Kind behandeln. Es ist peinlich.
»Im Kühlschrank sind Empanadas, falls ihr Mädchen etwas essen möchtet«, sagt sie.
»Okay«, sage ich, obwohl ich weiß, dass wir auf keinen Fall Empanadas essen werden. Es sieht so aus, als wollte sie noch etwas anderes sagen – wie »Schlaf schön« oder »Du isst nicht genug« oder »Ich hab dich lieb« –, deshalb komme ich ihr zuvor. »Wiedersehen, Luz.«
»Gute Nacht, mi querida .«
Als sie weg ist, widmet sich Tamsin ihren eigenen Nägeln, und Sophie probiert einige der Kleider an, die ich bei unserer letzten Einkaufstour gekauft habe. Jedes einzelne davon umspielt lose ihren perfekten Körper. Ich beschließe, in der kommenden Woche vor Schulbeginn nichts außer Salat zu essen.
Ich sehe wieder hinüber zum Haus der Shaws. Heute Morgen ist ein Arbeitstrupp angerückt, um Zufahrt und Gehsteig vor der Rückkehr des Kongressabgeordneten vom Schnee zu befreien. Jede Sekunde wird eine schnittige schwarze Limousine herauffahren. Und zwar, bevor ich bis fünf gezählt habe.
Ich hake die Zahlen im Geiste ab, streiche sie durch. Drei, vier … fünf.
Nichts.
Ich greife nach meinem Handy und schreibe unserer Freundin Olivia, die mit ihren Eltern die Ferien in der Schweiz verbringt, eine SMS . Sie hat mich eingeladen mitzukommen, aber ich habe mich dagegen entschieden, nur damit ich daheim
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