Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Fenster und schaue auf den Parkplatz hinunter. Finn hat Recht. An jedem Laternenpfahl hängt eine Traube aus Kameras, die in alle Richtungen zeigen. Eine Enge in meiner Brust, die ich vorher gar nicht bemerkt habe, löst sich. »Das hab ich ganz vergessen. Jetzt fühle ich mich schon viel …«
»Marina!«
Ich drehe mich um. Finn ist bis an die Kante des Stuhls vorgerutscht, er beugt sich über Nate.
Dessen Lider flattern.
»Abgeordneter?«, sagt Finn. »Können Sie mich hören?«
Ich haste zum Bett zurück. Nates Lider bewegen sich und öffnen sich dann halb, als wäre das alles, was er schafft. Seine Finger zucken in Finns Hand. Ich halte mir den Mund zu, um das Schluchzen zu unterdrücken, das sich meiner Kehle entringen will.
»Ich hole einen Arzt«, sagt Finn. »Bleib bei ihm.«
Finn rennt aus dem Zimmer, und ich nehme Nates Hand. Seine Finger kratzen über meine Haut, und er bewegt die Lippen, als wollte er etwas sagen.
»Nate, du hast einen Schlauch im Hals, der dir beim Atmen hilft, okay?«, sage ich. »Du kannst jetzt noch nicht sprechen. Finn holt gerade einen Arzt.«
Aber Nate entspannt sich nicht. Er scheint mit seinem Körper zu ringen, mit seinen Augen, die sich nicht ganz öffnen wollen, mit seinen Fingern, die nicht zupacken wollen, mit seiner Stimme, die ihm nicht gehorchen will. Er sieht hoch zu mir, mit einer zwingenden Intensität, als würde er verzweifelt versuchen, mir etwas mitzuteilen.
»Ist schon gut, Nate«, sage ich, vielleicht mehr, um mich selbst zu beruhigen als ihn. Er macht mir Angst. »Sch, ist schon gut.«
Nate schüttelt fast unmerklich den Kopf auf dem Kissen, und seine Hand ballt sich in meiner zur Faust. Ich ziehe schnell meine Hand zurück, weil ich fürchte, dass ich ihm wehgetan haben könnte. Langsam und zitternd hebt er den kleinen Finger.
Es ist keine natürliche Bewegung. Zuerst überlege ich, ob er eine Art Krampf hat, aber dann sehe ich hinunter in sein Gesicht und bemerke diesen Ausdruck in seinen Augen, der mich anfleht, ihn doch zu verstehen. Mir fällt ein, wie James und ich uns auf einer überfüllten Cocktailparty gegenseitig mühsam in Zeichensprache Wörter buchstabiert haben. Wie Nate in Zeichensprache mit Gretchen, Onkel Perrys gehörloser Frau, gesprochen hat, wenn sie zu Besuch waren.
Eine Faust. A.
Eine Faust mit ausgestrecktem kleinem Finger. I.
»A-I . Richtig, Nate?«
Er schließt kurz die Augen, und ich interpretiere es als Ausdruck der Erleichterung. Nur mit Mühe schafft er es, die Finger wieder zu strecken und die ersten beiden zu überkreuzen. Was für ein Buchstabe ist das? Ich erinnere mich nicht. Gott, warum habe ich nicht besser aufgepasst? Warum bin ich nicht klüger?
»T?«, frage ich. »U?«
Er macht das Zeichen wieder.
»Oh!« Plötzlich fällt es mir wieder ein. »R?«
Er schließt erneut die Augen.
»A-I-R?«, frage ich. »Oh Gott, bekommst du keine Luft?«
Ich schaue zu all den Maschinen, als wäre ich in der Lage zu beurteilen, ob etwas kaputt ist, oder wüsste, wie man es repariert. Doch das Zischen des Beatmungsgeräts ist so gleichmäßig, wie es die ganze Zeit über war. Nate schüttelt wieder den Kopf und macht ein weiteres Zeichen.
»J«, sage ich. An den Buchstaben erinnere ich mich. »James kommt gleich. Finn ist ihn sicher holen gegangen.«
Nate schüttelt den Kopf. Er krümmt die Hand zu einer Wölbung auf dem steifen Bettbezug und steckt dann den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger.
»C-T? Connecticut?«
Nate schließt die Augen.
»Was ist mit Connecticut, Nate?« Mir wird eiskalt, als würde ich wieder im Pyjama draußen im Schnee stehen. Ich erinnere mich an das seltsame Gespräch mit Nate vor seinem Wagen, an dem Abend, als sie gerade aus Connecticut heimgekehrt waren. Ich sagte zu Nate, dass er müde aussehe, und er antwortete …
Ich hatte einfach viel mit einer Untersuchung zu tun. Das hat mich den ganzen Urlaub gekostet.
Und dann, gleich danach, bat Nate mich, ein Auge auf James zu haben. Er mache sich Sorgen um ihn und hätte gern, dass ich ihm Bescheid gebe, falls James sich merkwürdig verhalten sollte. Ich hielt das für eine sonderbare Bitte und fand es befremdlich, dass er so unvermittelt das Thema wechselte, von der Untersuchung direkt zum Verhalten seines Bruders. Aber vielleicht …
Ich blicke wieder auf Nates Hand hinunter. Er malt mit dem kleinen Finger ein zittriges »J« auf die Decke. Vielleicht gibt es eine Verbindung zwischen beidem – der Untersuchung und dem
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