Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
geschrieben hat. Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die ich seit Jahren zum Schweigen zu bringen versuche, hat sich immer gefragt, ob Tamsin und Sophie vielleicht deshalb damals in der siebten Klasse beschlossen haben, sich mit mir anzufreunden, um besser an James heranzukommen. Diese SMS – und Dutzende mehr, viele von Leuten, die ich nicht mal kenne – lässt mich denken, dass sie das hier als Entertainment betrachtet, als wäre ich Teil ihres persönlichen Klatschblatts. Ich schalte mein Telefon aus und stopfe es wieder in die Tasche.
»Tamsin?«, fragt Finn.
»Ja.«
»Sie ist ein Miststück«, sagt er sanft. »Ich weiß nicht, warum du mit ihr befreundet bist.«
Normalerweise würde mich ein Satz wie dieser auf die Palme bringen, aber da ich im Augenblick mit ihm einer Meinung bin, ist es schwer, sauer zu reagieren. »Ich auch nicht.«
Finn lächelt, und ausnahmsweise habe ich mal nicht das Gefühl, dass er sich über mich lustig macht. Ich lächle sogar kurz zurück.
Bald darauf kommt eine Schwester und teilt uns mit, dass Nate jetzt wieder Besuch empfangen kann. Die ganze Familie springt auf die Füße. Sie fügt rasch hinzu, dass nicht Platz für alle ist.
»Du gehst, James.« Vivianne schenkt ihm ein schwaches Lächeln. »Wir haben ihn vorhin besucht.«
»Okay.« James sieht ein bisschen blass aus und dreht sich zu mir und Finn um. »Leute, kommt ihr mit?«
Wir stehen auf und folgen ihm zu Nates Zimmer. Vor der Tür sagt James: »Tut mir leid. Es fühlt sich irgendwie seltsam an, wenn ich da drin allein mit ihm bin.«
»Schon gut, Mann«, sagt Finn. »Das verstehen wir doch.«
Finn und ich halten uns dicht an der Wand, damit James so etwas wie Privatsphäre hat. Er hält Nates Hand und spricht leise zu ihm, während Finn seine Kritzeleien wiederaufnimmt und ich das letzte Fitzelchen pinkfarbenen Lack von meinem Daumen pule.
»Hey, du musst übrigens nicht hierbleiben«, flüstere ich. »Falls du, na ja, falls du lieber zuhause wärst.«
»Du musst auch nicht hierbleiben«, sagt Finn.
Der Gedanke ist mir offen gestanden noch gar nicht gekommen. Ich bleibe, solange James hier ist.
»James ist auch mein bester Freund«, sagt er und blickt auf seine Zeichnung von einem Hund im Anzug, »und seine Familie ist echt gruselig. Wenn er an meiner Stelle wäre, würde er mich auch nicht allein lassen.«
»Du hast Recht, das würde er nicht«, sage ich. »Er würde dich so was nie allein durchmachen lassen. Wenn du ihm sagen würdest, was los ist.«
Finn sieht nur kurz auf, bevor er wieder auf seine Zeichnung schaut und dem Hund eine Fliege anmalt.
»… das ist absolut inakzeptabel !«, schallt Alices Stimme über den Flur.
»In diesem Ton redest du nicht mit mir, Alice! Nicht heute!« Das ist Vivianne, und sie klingt wütend.
James stöhnt und erhebt sich. »Bin gleich wieder da. Könnt ihr …?«
»Klar«, sagt Finn und geht zu Nates Bett. Ich folge ihm, während James eilig das Zimmer verlässt, um sich um seine Familie zu kümmern. Wenigstens sieht Nate heute besser aus. Jemand hat ihn gewaschen, und seine Haut wirkt weniger grau.
»Hey, Abgeordneter«, sagt Finn. »James ist gleich wieder da. Also, Cousine Alice ist schon ein bisschen schwierig, oder?«
Ich denke darüber nach, Nates Hand zu nehmen, kann mich aber nicht dazu durchringen. Aus irgendeinem Grund habe ich Angst, dass sie kalt ist.
»Du bist wirklich gut in so was«, sage ich leise.
»Na ja, ich hab ja auch Übung.«
»Hast du das, was du vorhin gesagt hast, ernst gemeint?«, frage ich. »Dass du mir das mit den Schützen glaubst?«
Finn zuckt die Achseln. »Du magst manchmal eine Drama Queen sein, M, aber du bist nicht verrückt. Und wenn du schon halluzinierst, warum dann ausgerechnet von uns beiden, wie wir auf James schießen? Also ja, ich schätze, ich glaube dir. Da draußen muss mindestens ein extrem gut aussehender Krimineller mit einer Pistole rumlaufen.«
Ich verdrehe die Augen, kann mein Lächeln aber nicht unterdrücken.
»Aber sie werden ihn nie schnappen«, sage ich, »weil alle denken, dass ich mir das nur eingebildet habe.«
»Machst du Witze?«, fragt er. »Auf diesem Parkplatz sind in etwa zehntausend Überwachungskameras angebracht. Das Gesicht des Schützen wird auf allen Bändern zu sehen sein.«
»Wirklich?« Jetzt, da er das gesagt hat, erinnere ich mich vage daran, dass Agent Armison letzte Nacht die Sicherheitskameras erwähnt hat. Aber ich begreife es erst jetzt richtig. Ich gehe zum
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