Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Ich weiß – vielleicht durch die Art, wie sich die Luft um mich herum verändert –, wer es ist. Finn setzt sich neben mich auf die Treppe.
»Alles okay?«
Ich nicke. »Ich brauchte nur eine Pause von all dem Geschrei.«
»Wem sagst du das.«
»Haben sie inzwischen beschlossen, wann sie an die Öffentlichkeit gehen?«
»Vielleicht in ein paar Stunden.«
Ich werfe einen Blick nach hinten zu der Gruppe am Tisch. Jonas sitzt am Kopfende. Wir haben ihn vor einigen Monaten getroffen, als uns ein Lastwagenfahrer zu dritt über die Staatsgrenze geschmuggelt hat, und wir sind zusammengeblieben. Er war Sprengmeister, und das FBI hatte ihn zu Rate gezogen, um die Bombenanschläge von Philadelphia zu untersuchen. Er beschloss, dass er besser aus Pennsylvania verschwinden sollte, als er Militärsprengstoff tief im Krater der Sunoco-Raffinerie entdeckte. Aus dem, was wir wussten, und dem, was er wusste, begannen wir uns zusammenzureimen, was in den vergangenen drei Jahren wirklich in unserem Land passiert ist. Die Bombenanschläge, die mysteriösen Todesfälle, die plötzlichen Sinneswandel um 180 Grad von Politikern und hochrangigen Militärs: All das führt zurück zu Cassandra.
Dann trafen wir Rina und Sahid und eine Handvoll anderer. Rina gehört dieses Haus tief in den Blue Ridge Mountains, kilometerweit entfernt vom nächsten Nachbarn. Wir sind seit ein paar Wochen hier, stellen Nachforschungen zu SIA an und sammeln sämtliche Informationen. Eine Gruppe innerhalb der Regierung ist verantwortlich für das, was gerade passiert, und wir glauben, dass wir das beweisen können.
Wenn wir uns nur einig werden würden, wie.
»Meinst du, dass es etwas ändern wird«, frage ich, »wenn wir mit dem, was wir wissen, an die Öffentlichkeit gehen?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagt Finn. »Aber wir müssen es versuchen.«
»Ich verstehe nicht, warum er das tut.« Ich lehne den Kopf an einen Pfosten. »Er wollte doch alles zum Besseren verändern. Glaubt er wirklich, dass Bomben und Checkpoints und Massenverhaftungen besser sind?«
»Vielleicht werden wir ihn nie mehr verstehen.« Ich merke, dass er mich prüfend anschaut. »Du wirkst müde.«
»Das bin ich auch.« Ich reibe mir die trockenen Augen. »Ich habe die letzten beiden Nächte nicht geschlafen. Für eine so kleine Frau schnarcht Jocelyn laut genug, um Tote aufzuwecken.«
Er grinst und wackelt mit den Augenbrauen. »Du kannst jederzeit in mein Bett kommen.«
Ich verdrehe die Augen und boxe ihn in die Schulter. Es ist nicht so, dass wir noch nie im selben Bett geschlafen hätten. Da war dieser erste Lkw, der uns aus Washington brachte, versteckt hinter einer Palette Müslipackungen. Es war mitten im Winter, und während der zehnstündigen Fahrt Richtung Süden kuschelten wir uns aneinander, um uns gegenseitig zu wärmen. Dann gab es noch ein halbes Dutzend eklige kleine Motels mit nur einem Bett im Zimmer, in denen ich Mitleid mit ihm hatte und ihn nicht auf dem Boden schlafen lassen wollte, obwohl er es anbot. Und das letzte Mal, als wir bei einem von Rinas Freunden übernachteten und uns das Schlafsofa teilten. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, mit Finns Arm um meine Hüfte. Seine Lippen berührten ganz leicht meinen Hals. Ich bewegte mich nicht, starrte nur mit rasendem Puls in die Dunkelheit und hoffte, dass er nicht aufwacht.
»Wahrscheinlich schnarchst du noch lauter«, sage ich.
»Wahrscheinlich. Willst du Betten tauschen? Mich stört das Schnarchen nicht.«
Ich schüttle den Kopf, und die Spitzen meines neuerdings kurzen Haars streifen meine Wangen. Ich mache es noch einmal.
»Fühlt sich das komisch an?«, fragt er.
»Ja. Ich glaub nicht, dass ich es getan habe.« Gestern morgen habe ich in den Spiegel gesehen und konnte auf einmal meinen Anblick nicht mehr ertragen – äußerlich war ich so unverändert, während ich mich innerlich so anders fühlte. Ich fand die Schere im Spiegelschrank und begann zu schneiden, und ich fühlte mich seltsam zufrieden, als mein Haar sich im Spülbecken und zu meinen Füßen sammelte. Wie die letzten Überreste meines alten Lebens. »Ich muss bescheuert aussehen.«
Finn berührt die Spitzen meines Haars und reibt eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger. »Mir gefällt’s. Es steht dir.«
Ich spüre die Wärme seines Atems auf meinem Gesicht, als er das sagt. Wann ist er so nahe gerückt? Sein Knie berührt meins, und seine Knöchel streifen meinen Hals, während er mein Haar durch die Finger gleiten
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