Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Kniekehlen stoße ich an eines der Betten. Ich verliere das Gleichgewicht und falle nach hinten, mit James auf mir. Ich lasse die Pistole nicht los, doch James drückt mich schmerzhaft fest auf das Bett, er hat den Unterarm auf meinem Hals. Ich strecke die Waffe über meinen Kopf, um sie außerhalb seiner Reichweite zu halten, kann sie aber nicht auf ihn richten.
Finn zieht James von mir herunter, und ich schnappe nach Luft, während ich mich von den Jungen wegrolle. Finn ist stark, aber James ist größer und von blankem Entsetzen getrieben. Der Kampf wird nicht lange dauern.
»James?« Ich höre das Geräusch einer Schlüsselkarte im Schloss.
»Wir müssen weg!«, zische ich Finn zu.
Die Tür beginnt sich zu öffnen, wird aber von der Kette ruckartig gestoppt.
»Jimbo, mach auf!«, ruft der jüngere Finn durch den Spalt.
Ich renne zum Fenster und zerre es auf. Ich könnte nun auf James schießen, aber ich würde riskieren, Finn zu treffen. Und Marina – Gott, sie ist nur ein paar Schritte entfernt. Ich kann es nicht. Ich trete das Mückengitter aus dem Fensterrahmen, sodass es auf den Parkplatz fällt.
James wirft Finn mit einem unbeholfenen, aber kräftigen Schlag aufs Kinn zurück. Er springt schwankend auf die Füße. »Ihr könnt nicht am selben Ort sein wie sie, oder?«
Er läuft zur Tür und Finn zu mir. Finn springt in das Gebüsch einen guten Meter unter dem Fenster und streckt mir die Arme entgegen. Ich werfe einen Blick zurück zu James, der mit der Kette an der Tür kämpft, aber im selben Moment zu mir sieht.
»Es tut mir leid«, sage ich, »aber es ist noch nicht vorbei. Wir werden nicht aufgeben.«
Ich springe in Finns Arme, und zusammen rennen wir los.
D REIUNDZWANZIG
Marina
»James?« Ich verlagere die Getränke und die Süßigkeiten, die Finn und ich auf dem Rückweg aus einem Automaten besorgt haben, in meine rechte Armbeuge, sodass ich die Finger meiner Linken durch den Türspalt schieben kann. Drinnen höre ich Poltern, einen gedämpften Aufschlag und Flüstern. »Was ist los?«
Schweigen.
»James!«, rufe ich. »Du machst jetzt sofort die Tür auf!«
»Zieh deine Hand zurück.«
Ich seufze erleichtert und entferne meine Finger aus dem Spalt. Die Tür schließt und öffnet sich gleich wieder. James’ Gesicht ist rot, was ich erwartet habe, aber es wirkt sonderbarerweise verschwitzt und erhitzt, als wäre er einen Marathon gelaufen, anstatt zu weinen. Er starrt mich an, als würde er mich zum ersten Mal im Leben sehen. Finn schiebt sich an ihm vorbei, er scheint nichts zu bemerken.
»Eine Runde Burger«, sagt er und wirft die Tüte aus dem Restaurant auf die zerwühlte Tagesdecke des nächstens Betts. Ich lege meine Portion daneben.
James geht steifbeinig an uns vorbei. Er nimmt meine Tasche vom Boden und seinen Mantel von der Lehne eines Stuhls. »Wir essen unterwegs, ja? Ich finde, wir sollten los.«
»Was?«
»Wir sollten weiter«, sagt er. »Ich will nicht hierbleiben.«
»Du hast einen Schock.« Ich versuche, ihn zu packen und festzuhalten, sein erschreckend aufgewühltes Hin- und Herlaufen zu beenden, aber er entschlüpft mir immer wieder. »Du musst dich ausruhen.«
»Was ich muss, ist aus diesem Scheiß-Hotelzimmer rauszukommen!« Er zittert sichtlich, sein ganzer Körper bebt, als würde er von innen heraus erfrieren. Er rammt die Faust seitlich gegen die Wand, und ich fahre zusammen. Dieser Fremde da vor mir macht mir plötzlich Angst. James sieht es und senkt den Kopf. »Tut mir leid, Marina. Gott, es tut mir so leid. Aber bitte, ich muss hier weg.«
Finn tritt zwischen uns und legt James eine Hand auf die Brust. »Okay. Wir gehen. Ist schon okay.«
James’ Stimme klingt rau, als er sagt: »Danke.«
Wir gehen zurück zum Wagen – die Burger, vergessen auf dem Rücksitz neben Finn, werden kalt –, und James fährt los, als wäre der Teufel hinter ihm her. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn Finn wieder am Steuer säße, egal wie schlecht er fährt. Die Tachonadel bewegt sich immer weiter nach rechts, wir sind schon bei 160 Stundenkilometern, und James fährt rechts und links um andere Autos herum, während sein Blick alle paar Sekunden in den Rückspiegel wandert. Ich habe zu viel Angst, um ihn zu fragen, was los ist, oder auch nur mit ihm zu sprechen. Dieser stille, vor Intensität glühende James erinnert mich unangenehm an den Tag der Beerdigung seiner Eltern, als der Zorn in seinen Augen beim Schlag gegen diese Lampe ein Loch in mich zu brennen
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