Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
schien.
Finn teilt meine Besorgnis nicht. Er hat sich auf dem Rücksitz ausgestreckt und schläft wie ein Toter, den Mund leicht geöffnet. Als ich es bemerke, verdrehe ich die Augen, betrachte ihn aber doch länger, als ich vorhatte. Er sieht so jung aus, wenn er schläft, ich kann fast den kleinen Jungen erkennen, der er einmal gewesen sein muss.
»Marina?«, flüstert James.
Es ist das erste Wort, das er spricht, seitdem wir das Hotel verlassen haben. »Ja?«
»Hältst du mich für einen schlechten Menschen?«
» Was? «
»Habe ich etwas Böses in mir?« Sein Blick sucht die Straße vor ihm ab, als könnte sie ihm eine Antwort geben. »Könnte ich eines Tages ein furchtbarer Mensch werden?«
»James.« Ich bin zu erschrocken, um Worte zu finden. Ich lege meine Hand über seine, die auf der Mittelkonsole ruht. »Du bist der beste Mensch, den ich kenne.«
»Ich will ein guter Mensch sein.« Seine Lippen beginnen zu beben, und er hebt eine Hand zum Mund, um es zu verbergen. »Ich will Gutes tun. Ich will den Menschen helfen.«
»Ich weiß …«
»Nur darum geht es bei allem, was da drinsteht.« Er weist mit dem Kopf zu dem braunen Briefumschlag zu meinen Füßen. »Dafür habe ich all die Jahre gearbeitet.«
»James, das weiß ich.« Er hört mir nicht zu. Mit wem auch immer er spricht, ich bin es nicht.
»Ich wünschte, Nate wäre hier.« Seine Stimme bricht. »Ich brauche ihn.«
»Alles wird wieder gut.«
»Nein«, sagt er und sieht mich zum ersten Mal an. Seine Pupillen sind so groß, dass sie wie schwarze Löcher wirken, genauso wie er sie mir erklärt hat – so tief, dass sie alles Licht um sie herum verschlucken. »Es wird nicht wieder gut, Marina. Nichts wird jemals wieder gut.«
Ich ziehe meine Hand zurück. »Du machst mir Angst.«
»Ich weiß. Ich habe auch Angst.« Er umklammert das Lenkrad wie einen Rettungsanker. »Ich habe in meinem Leben vor so viel Mist Angst gehabt. Davor, schlechte Noten zu bekommen oder nicht dazuzugehören. Gott, ich hatte sogar Angst vor dir. Das alles war so eine Verschwendung. Nichts davon spielt noch eine Rolle, jetzt, wo wirklich angsteinflößender Scheiß passiert.«
»Warum hattest du Angst vor mir?«, flüstere ich.
Er schaut mich nicht an. Die Straßenlaternen fliegen draußen vorbei, lassen seine Silhouette orange aufglühen und tauchen sie dann wieder in Schwärze. In einem Rhythmus, der meinen Herzschlag nachahmt.
»Zwing mich nicht, es dir jetzt zu sagen«, antwortet er leise. »Nicht so.«
Hoffnung erhebt sich in mir wie ein Luftballon, bis ich fast schwebe, aber ich lasse ihn platzen und kehre zurück auf die Erde. Ich weiß, wie dieses Gespräch ablaufen wird. Er wird mich ansehen und sagen: Ich liebe dich, Marina. Wie die Schwester, die ich nie hatte. Ich hatte Angst, es dir zu sagen, weil die Menschen, die ich liebe, mich immer verlassen. Und ich werde zu lächeln versuchen und ihm sagen, dass ich ihn auch liebe, wie einen Bruder, und dann werde ich so sehr weinen, dass es mich fast zerreißt, und ihm nie, niemals die Wahrheit sagen. Ich kann bereits den Schmerz spüren, das heiße Brennen des Kummers irgendwo hinter meinen Lidern.
Aber, oh Gott, was, wenn ich Unrecht habe? Was, wenn mein verrücktes, rasendes Herz Recht hat?
James greift nach meiner Hand. »Verlass mich einfach nicht, okay, Kleines? Bitte verlass mich niemals.«
Ich drücke seine Finger. »Nie. Du hast mich auf ewig an der Backe, Shaw.«
Ich glaube, er versucht zu lächeln. »Ich nehme dich beim Wort, Marchetti.«
V IERUNDZWANZIG
Em
Ich starre mindestens eine Stunde lang aufs Armaturenbrett, während Finn am Steuer sitzt und den dahinhuschenden Lichtern des BMW folgt. Ich habe unser Dilemma im Geiste immer und immer wieder gewälzt, es von allen Seiten beleuchtet und nach einem Schwachpunkt gesucht, aber es ist unauflösbar.
»Es ist vorbei«, sage ich schließlich. »Jetzt, da er Bescheid weiß, wird er dafür sorgen, dass Marina und Finn ihm nicht von der Seite weichen, und der Doktor wird uns morgen jemanden hinterherschicken, der uns zur Strecke bringt, wenn uns nicht schon vorher die Zeit ausradiert. Das war’s.«
»Wahrscheinlich.«
Ich sehe auf die Pistole in meinem Schoß herunter. Ich weiß nicht, warum ich sie noch nicht weggelegt habe. Ich berühre sie mit einer Fingerspitze. »Selbst wenn wir es schaffen, ihn noch mal allein abzupassen, weiß ich nicht, ob ich es tun kann. Ich hatte nun drei Chancen, und jedes Mal habe ich versagt.«
»Drei?«
Ich
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