Zelot
der Stadt hinausgehen, nachdem sie in den Augen der römischen Machthaber gerade ein Kapitalverbrechen verübt haben: Aufwiegelung, zu bestrafen mit Kreuzigung. Schließlich ist ein Angriff auf das Geschäft des Tempels auch ein Angriff auf die Priesteraristokratie und damit in Anbetracht der komplizierten Beziehung des Tempels zu Rom gleichbedeutend mit einem Angriff auf Rom selbst.
Schieben wir für einen Augenblick die Jahrhunderte exegetischer Akrobatik zu dieser verblüffenden Episode in Jesu Wirken zur Seite; betrachten wir das Geschehen aus einer rein historischen Perspektive – die Szene übersteigt einfach jedes Vorstellungsvermögen. Die genauen Voraussagen Jesu in Bezug auf den Tempel können uns nicht überraschen. Alle Evangelien wurden nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. geschrieben; Jesu Warnung an Jerusalem: «Es wird eine Zeit für dich kommen, in der deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen und von allen Seiten bedrängen. Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen Stein auf dem andern lassen» (Lk 19 , 43 – 44 ) wurde ihm von den Evangelisten im Nachhinein in den Mund gelegt. Verblüffend – und wirklich nicht zu übersehen – ist vielmehr, wie unverhohlen und unbestreitbar
eifernd
Jesu Auftreten im Tempel wirkt.
Die Jünger erkennen dies sicher. Als Jesus die Käfige zerstört und die Tische in einem Wutanfall umkippt, fühlen sich die Jünger, wie das Johannes-Evangelium sagt, an die Worte von König David erinnert, der ausrief: «Der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt.» (Joh 2 , 17 ; Ps 69 , 10 )
Auch die Schriftgelehrten und obersten Tempelpriester erkennen den Eifer Jesu und denken sich einen raffinierten Trick aus, um ihn als revolutionären Zeloten bloßzustellen. Sie gehen vor aller Augen auf Jesus zu und fragen: «Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?»
Das ist natürlich nicht einfach eine Frage. Es ist die Nagelprobe für einen Zeloten. Seit dem Aufstand des Galiläers Judas war die Frage, ob das Gesetz des Mose es erlaube, Tribut an Rom zu bezahlen, zum Unterscheidungskriterium für jene geworden, die zelotischen Prinzipien anhingen. Die Gründe waren einfach und für alle einsichtig: Roms Tributforderung signalisierte nichts weniger als einen Besitzanspruch auf das Land und seine Bewohner. Aber das Land gehörte nicht Rom. Das Land gehörte Gott. Der Kaiser hatte kein Recht, Tribute zu empfangen, weil er kein Recht auf das Land hatte. Mit ihrer Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tributzahlungen wollten die religiösen Obrigkeiten eigentlich etwas ganz anderes in Erfahrung bringen: Bist du ein Zelot oder nicht?
«Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt!», sagt Jesus. «Wessen Bild und Aufschrift ist das?»
Sie antworteten: «Des Kaisers.»
«So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!»
Es ist erstaunlich, dass Jahrhunderte biblischer Exegese diese Worte als einen Appell Jesu missverstanden haben, «die Dinge dieser Welt» – Steuern und Tribute – hintanzustellen und sich stattdessen mit dem Herzen auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren: Anbetung und Gehorsam gegenüber Gott. Eine solche Deutung passt wunderbar zur Wahrnehmung Jesu als eines unbeteiligten, himmlischen Geistes, dem weltliche Dinge völlig egal sind, eine seltsame Vorstellung bei einem Mann, der nicht nur in einer politisch besonders aufgeladenen Zeit in Israels Geschichte lebte, sondern auch von sich behauptete, der verheißene Messias zu sein, ausgesandt, die Juden von der römischen Besatzung zu befreien. Jesu Antwort ist bestenfalls als ein halbherziger Kompromiss zwischen den priesterlichen und zelotischen Positionen verstanden worden – zwischen jenen, die es für rechtmäßig hielten, den Tribut an Rom zu zahlen, und jenen, die anderer Meinung waren.
Tatsächlich aber ist Jesu Antwort eine Aussage, wie man sie klarer in den Evangelien kaum finden kann. Sie zeigt, wo genau er in der Debatte zwischen den Priestern und den Zeloten stand – nicht in Bezug auf den Tribut, sondern in Hinblick auf die weitaus wichtigere Frage nach Gottes Oberherrschaft über das Land. Jesu Worte sprechen für sich: «Gebt (
apodidomi
) dem Kaiser, was dem Kaiser gehört …» Das
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