Zelot
erwecken, als habe es nie Juden in Jerusalem gegeben. Im Jahr 135 n. Chr. war der Name Jerusalem aus allen offiziellen römischen Dokumenten verschwunden.
Jenen Juden, die das Blutbad überlebten – die sich nackt und ausgehungert jenseits der in sich zusammengefallenen Stadtmauer zusammendrängten und entsetzt zuschauen mussten, wie die römischen Soldaten auf die glimmende Asche des Hauses Gottes urinierten –, jenen Juden war völlig klar, wer die Schuld an Tod und Verheerung trug. Ganz sicher war es nicht der Herr der Heerscharen, der eine solche Verwüstung über die Heilige Stadt gebracht hatte. Nein. Es waren die
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die Banditen und die Rebellen, die Zeloten und die Sikarier, die nationalistischen Revolutionäre, die die Unabhängigkeit von Rom gepredigt hatten, die sogenannten Propheten und falschen Messiasse, die ihnen als Belohnung für ihre Gottestreue und ihren Glaubenseifer die Errettung versprochen hatten. Sie waren für den römischen Angriff verantwortlich. Sie hatte Gott im Stich gelassen.
In den nächsten Jahren distanzierten sich die Juden so weit wie möglich von dem revolutionären Idealismus, der zum Krieg mit Rom geführt hatte. Sie gaben ihre apokalyptischen Erwartungen nicht auf. Im Gegenteil, eine Fülle apokalyptischer Schriften erschien im Laufe des nächsten Jahrhunderts und spiegelte die noch immer aktuelle Sehnsucht nach einer göttlichen Befreiung vom römischen Joch wider. Die unterschwelligen Wirkungen dieses messianischen Eifers sollten sogar im Jahr 132 n. Chr. noch einmal zum Ausbruch eines kurzen Zweiten Jüdischen Krieges gegen Rom führen, diesmal angeführt von dem Messias, den wir als Simon bar Kochba kennen. Die meisten Rabbinen des 2 . Jahrhunderts allerdings sahen sich durch die Umstände und die Angst vor römischer Vergeltung dazu gezwungen, eine Interpretation des Judentums zu entwickeln, die auf jeden Nationalismus verzichtete. Sie kamen zu einer eher metaphysischen Betrachtung des Heiligen Landes und nährten eine messianische Theologie, die offene politische Ambitionen ablehnte; von nun an nahmen fromme Taten und das Studium des Gesetzes den Platz der Tempelopfer im Leben der gottesfürchtigen Juden ein.
All dies jedoch lag noch viele Jahre in der Zukunft. An diesem Tag – dem Tag, an dem die geschlagenen und blutüberströmten Reste der altehrwürdigen jüdischen Nation ihrem Gott entrissen und gezwungen wurden, das Gelobte Land zu verlassen und in das Land der Heiden und Götzenanbeter zu marschieren – schien einfach nur sicher, dass es die Welt, wie sie sie kannten, nicht mehr gab.
Im triumphierenden Rom soll derweil, kurz nachdem der Tempel des Herrn entweiht, die jüdische Nation in alle Winde zerstreut und ihre Religion zur Außenseiterreligion geworden war, ein Jude namens Johannes Markus zur Feder gegriffen und die ersten Worte des ersten Evangeliums formuliert haben, das über den als Jesus von Nazaret bekannten Messias geschrieben wurde – nicht in Hebräisch, der Sprache Gottes, nicht in Aramäisch, der Sprache Jesu, sondern in Griechisch, der Sprache der Heiden. Der Sprache der Unreinen. Der Sprache der Sieger.
Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus.
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Teil II
Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe, einen Tag der Vergeltung unseres Gottes.
Jesaja 61 , 1 – 2
Prolog
Eifer für dein Haus
Unter all den Geschichten über das Leben des Jesus von Nazaret gibt es eine – dargestellt in zahllosen Theaterstücken, Filmen, Gemälden und Sonntagspredigten –, die mehr als alle anderen Worte oder Taten zeigt, wer Jesus war und wofür er stand. Es ist eines der wenigen Ereignisse im Wirken Jesu, das alle vier kanonisierten Evangelien – Markus, Matthäus, Lukas und Johannes – bezeugen, was ihr ein gewisses Gewicht verleiht. Und doch präsentieren alle vier Evangelisten diesen monumentalen Moment so beiläufig, fast flüchtig, als seien sie sich entweder seiner Bedeutung nicht bewusst oder als spielten sie, wahrscheinlicher, absichtlich eine Episode herunter, deren radikale Implikationen alle Augenzeugen sicher sofort erkannt hatten. Dieser eine Moment im kurzen Leben Jesu ist so aufschlussreich, dass er allein
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