Zelot
Jerusalem genauer anschaut – die Szene, die seine Verhaftung und Hinrichtung zweifellos beschleunigte –, kann man eine Tatsache kaum noch leugnen: Jesus wurde von den Römern gekreuzigt, weil seine messianischen Ambitionen die Besatzung Palästinas bedrohten und sein Zelotentum die Tempelobrigkeiten gefährdete. Diese eine Tatsache lässt alles, was wir in den Evangelien über den Messias namens Jesus von Nazaret erfahren – von den Einzelheiten seines Todes an einem Kreuz in Golgota bis zurück zum Beginn seines öffentlichen Wirkens an den Ufern des Jordan –, in einem anderen Licht erscheinen.
Kapitel sieben
Die Stimme in der Wüste
Johannes der Täufer tauchte wie eine Erscheinung aus der Wüste auf – ein wilder, in Kamelhaar gekleideter Mann mit einem Ledergürtel um den Leib, der sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte. Er wanderte am Jordan entlang – durch Judäa und Peräa, nach Betanien und Änon – und predigte eine ebenso schlichte wie furchtbare Botschaft: Das Ende war nahe. Das Reich Gottes stand bevor. Und wehe jenen Juden, die glaubten, ihre Abstammung von Abraham werde sie vor dem kommenden Gericht retten.
«Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen», warnte Johannes.
Den Reichen, die Rat bei ihm suchten, sagte er: «Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.»
Den Steuereintreibern, die ihn nach dem Weg zum Seelenheil fragten, antwortete er: «Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.»
Den Soldaten, die um Rat baten, sagte er: «Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold.»
Die Nachricht vom Täufer verbreitete sich schnell überall im Land. Die Menschen kamen selbst von Galiläa her, manche reisten tagelang durch die öde Wüste Juda, um ihn am Jordan predigen zu hören. Dort angekommen, zogen sie ihre Überkleider aus und wateten hinüber zum Ostufer, wo Johannes darauf wartete, sie bei der Hand zu nehmen. Einen nach dem anderen tauchte er sie im lebendigen Wasser unter. Dann gingen sie wieder hinüber zum Westufer des Jordan – wie ihre Vorfahren es 1000 Jahre zuvor getan hatten –, zurück in das ihnen von Gott verheißene Land. So wurden die Getauften die
neue
Nation Israel: bußfertig, erlöst und bereit, das Reich Gottes anzunehmen.
Immer größere Menschenmengen strömten zum Jordan, und irgendwann erregten die Aktivitäten des Täufers auch die Aufmerksamkeit von Antipas, dem Sohn Herodes’ des Großen, zu dessen Tetrarchie auch Peräa am Ostufer des Flusses gehörte. Wenn man dem Bericht des Evangeliums Glauben schenken darf, so verhaftete Antipas («der Fuchs») den Johannes, weil der seine Ehe mit Herodias kritisiert hatte, die gleichzeitig noch mit Antipas’ Halbbruder (ebenfalls ein Herodes) verheiratet war. Die verschlagene Herodias gab sich nicht damit zufrieden, Johannes einfach einzusperren, sondern spann eine Intrige, um ihn umzubringen. Zu Antipas’ Geburtstag bat Herodias ihre Tochter, die sinnliche Verführerin Salome, einen erotischen Tanz für ihren Onkel und Stiefvater aufzuführen. Der lüsterne alte Tetrarch war von Salomes kreisenden Hüften so erregt, dass er ihr auf der Stelle ein verhängnisvolles Versprechen gab.
«Wünsch dir, was du willst; ich werde es dir geben», schnaubte Antipas. «Was du auch von mir verlangst, ich will es dir geben, und wenn es die Hälfte meines Reiches wäre.»
Salome beriet sich mit ihrer Mutter: «Was soll ich mir wünschen?»
«Den Kopf des Täufers Johannes», antwortete Herodias.
Doch leider ist der Evangeliumsbericht hier nicht glaubhaft. So wunderbar skandalös die Geschichte von der Hinrichtung des Johannes auch sein mag, sie ist mit Fehlern und historischen Ungenauigkeiten gespickt. Die Evangelisten nennen Herodias’ ersten Ehemann fälschlich Philippus, und sie verwechseln offenbar den Ort von Johannes’ Hinrichtung, die Festung Machaerus, mit Antipas’ Hof in der Stadt Tiberias. Die ganze Geschichte liest sich in den Evangelien wie eine phantasievolle Volkssage mit absichtlichen Anklängen an die biblische Erzählung von Elijas Konflikt mit Isebel, der Frau von König Ahab.
Einen prosaischeren, aber verlässlicheren Bericht über den Tod Johannes’ des Täufers findet man in Josephus’ Werk
Jüdische Altertümer
. Laut Josephus fürchtete Antipas, dass Johannes’ wachsende Beliebtheit beim Volk
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