Zelot
zu einem Aufruhr führen werde, «denn sie schienen bereit, alles zu tun, was er ihnen raten würde». Da könnte etwas Wahres dran sein. Johannes’ Warnung vor dem nahenden Zorn Gottes war vielleicht nicht neu oder einzigartig im Palästina des 1 . Jahrhunderts, doch die Hoffnung, die er jenen gab, die sich selbst reinigten, die sich erneuerten und dem Weg der Gerechtigkeit folgten, fand enormen Anklang. Johannes versprach den Juden, die zu ihm kamen, eine neue Weltordnung, das Reich Gottes.
Er entwickelte zwar nie ein Konzept, das über vage Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit hinausging, aber allein schon diese Aussicht reichte in jenen finsteren, turbulenten Zeiten aus, um viele Juden aus allen Schichten anzuziehen – die Reichen und die Armen, die Mächtigen und die Schwachen. Antipas hatte allen Grund, Johannes zu fürchten; selbst seine eigenen Soldaten scharten sich um den Täufer. Deshalb ließ er Johannes festsetzen, klagte ihn der Volksverhetzung an und schickte ihn in die Festung Machaerus, wo der Täufer ganz im Stillen irgendwann zwischen 28 und 30 n. Chr. starb.
Doch Johannes’ Ruhm überdauerte ihn selbst. Johannes’ Ruhm überdauerte sogar Antipas, denn es galt als weithin anerkannt, dass die Niederlage des Tetrarchen gegen den nabatäischen König Aretas IV . im Jahr 36 n. Chr., sein anschließendes Exil und der Verlust seines Titels und Besitzes Gottes Strafe für die Hinrichtung des Täufers waren. Lange nach seinem Tod grübelten die Juden noch immer über die Bedeutung der Worte und Taten des Johannes nach; seine Jünger zogen noch immer durch Judäa und Galiläa und tauften die Menschen in seinem Namen. Johannes’ Leben und die sich um ihn rankenden Legenden wurden in einer unabhängigen «Täufer-Überlieferung» auf Hebräisch und Aramäisch bewahrt und von Stadt zu Stadt weitergegeben. Viele glaubten, er sei der Messias. Manche glaubten, er werde von den Toten auferstehen.
Trotz seines Ruhmes wusste damals – wie heute – allerdings offenbar niemand, wer genau Johannes der Täufer war oder woher er stammte. Das Lukas-Evangelium bietet eine phantasievolle Schilderung der Abstammung und wundersamen Geburt des Johannes, die die meisten Fachleute pauschal verwerfen. Falls man irgendeine historische Information aus diesem Evangelium ziehen kann, so ist es die Andeutung, dass Johannes womöglich einer Priesterfamilie entstammte; sein Vater, so sagt Lukas, gehörte der Priesterklasse Abija an (Lk 1 , 5 ). Wenn das stimmt, hätte man von Johannes erwartet, dass er sich der priesterlichen Linie seines Vaters anschloss. Doch der apokalyptische Prediger, der in die Wüste hinausging und «kein Brot isst und keinen Wein trinkt», hatte ganz offensichtlich die Verpflichtungen seiner Familie und dem Tempel gegenüber eingetauscht gegen ein asketisches Leben in der Wüste. Vielleicht erklärt sich so auch Johannes’ unglaubliche Beliebtheit bei den Massen: Er hatte sich seiner priesterlichen Privilegien entledigt, um den Juden eine neue Quelle der Erlösung zu erschließen, eine, die nichts mit dem Tempel und der verabscheuungswürdigen Priesterschaft zu tun hatte:
die Taufe
.
Natürlich waren Taufen und andere Wasserrituale im ganzen alten Nahen Osten durchaus gebräuchlich. «Täufergruppen», die Gläubige in ihre Reihen aufnahmen, indem sie sie ins Wasser tauchten, durchstreiften Syrien und Palästina. Heidnische Konvertiten zum Judentum nahmen oft ein zeremonielles Bad, um sich von ihrer früheren Identität zu reinigen und dem auserwählten Stamm beizutreten. Die Juden verehrten das Wasser, weil es ihrer Überzeugung nach die Macht hatte, einen Menschen oder einen Gegenstand von einem Status in einen anderen zu befördern: von unrein zu rein, von weltlich zu heilig. Die Bibel ist voll von rituellen Waschungen: Gegenstände (ein Zelt, ein Schwert) wurden mit Wasser besprengt, um sie dem Herrn zu weihen; Menschen (Aussätzige, menstruierende Frauen) wurden in einem Akt der Reinigung ganz in Wasser untergetaucht. Die Tempelpriester in Jerusalem gossen sich Wasser über die Hände, bevor sie sich dem Altar näherten, um Opfer darzubringen. Der Hohepriester unterzog sich einem rituellen Tauchbad, bevor er am Versöhnungstag das Allerheiligste betrat, und einem weiteren, nachdem er die Sünden des Volkes auf sich genommen hatte.
Die bekannteste Sekte, bei der rituelle Waschungen eine besondere Rolle spielten, waren die schon erwähnten Essener. Sie bildeten keine
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