Zelot
schon genügt, um Jesu Mission, seine Theologie, seine Politik, sein Verhältnis zu den jüdischen Autoritäten, zum Judentum insgesamt und zur römischen Besatzung zu verdeutlichen. Vor allem aber erklärt dieses einzigartige Ereignis, warum ein einfacher Bauer aus den Hügeln Galiläas in den Augen des etablierten Systems eine solche Bedrohung darstellte, dass er gejagt, festgenommen, gefoltert und zur Strecke gebracht wurde.
Wir schreiben etwa das Jahr 30 n. Chr. Jesus ist gerade in Jerusalem eingezogen, auf einem Esel reitend und begleitet von einer überreizten Menschenmenge. «Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt!», rufen seine ekstatischen Anhänger und singen Loblieder für Gott. Manche breiten ihre Mäntel auf der Straße aus, damit Jesus darüber reitet, genau wie die Israeliten es für Jehu taten, als sie ihn zum König ausriefen ( 2 Kg 9 , 12 – 13 ). Andere sägen Palmzweige ab und schwenken sie, in Erinnerung an die heldenhaften Makkabäer, die Israel zwei Jahrhunderte zuvor von der Fremdherrschaft befreit hatten ( 1 Makk 13 , 49 – 53 ). Jesus und seine Anhänger haben diesen ganzen Zug sorgfältig so angelegt, dass er Sacharjas Prophezeiung erfüllt: «Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.» (Sach 9 , 9 )
Den Bewohnern der Stadt wird eine eindeutige Botschaft vermittelt: Der lange herbeigesehnte Messias – der
wahre
König der Juden – ist gekommen, um Israel aus der Knechtschaft zu befreien.
So provokant sein Einzug nach Jerusalem auch sein mag, er verblasst vor dem, was Jesus am nächsten Tag tut. Seine Jünger und, davon kann man ausgehen, eine begeisterte Menschenmenge im Schlepptau, betritt Jesus den öffentlichen Vorplatz des Tempels – den Heidenvorhof – und macht sich daran, ihn zu «säubern». Im Zorn wirft er die Tische der Geldwechsler um und vertreibt die Händler, die billiges Essen und Souvenirs verkaufen. Er lässt die Schafe und Rinder frei, die als Opfer verkauft werden sollen, und zerbricht die Taubenkäfige, sodass die Vögel davonfliegen. «Schafft das hier weg!», brüllt er.
Mit der Hilfe seiner Jünger blockiert er den Eingang zum Vorhof und lässt niemanden, der Handelswaren dabei hat, in den Tempelbezirk. Und während die vielen Verkäufer, Gläubigen, Priester und Schaulustigen sich um die verstreuten Waren und Münzen balgen, während die verängstigten Tiere, gejagt von ihren panischen Besitzern, direkt aus den Tempeltoren in die verstopften Straßen Jerusalems stürmen, während ein Trupp römischer Wachen und schwer bewaffnete Tempelpolizei den Hof nach dem Verantwortlichen für dieses Chaos durchkämmen, steht Jesus nach Aussage der Evangelien da, gelassen, scheinbar unbeeindruckt, und erhebt seine Stimme über den ganzen Lärm: «Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker sein? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.»
Die Obrigkeiten sind wütend, und das aus gutem Grund. Es gibt kein Gesetz, das die Anwesenheit von Händlern im Heidenvorhof verbietet. Andere Teile des Tempels mögen für die Lahmen, die Kranken, die Unreinen und vor allem für die heidnischen Massen sakrosankt und verboten gewesen sein. Der Vorhof jedoch war eine für alle zugängliche Arena, die als wimmelnder Basar wie auch als Verwaltungssitz des Sanhedrin, des obersten jüdischen Rates, diente. Die Händler und Geldwechsler, die Verkäufer von Opfertieren, die Unreinen, die Heiden und die Häretiker, sie alle hatten das Recht, den Heidenvorhof ganz nach Belieben zu betreten und dort Geschäfte zu machen. Deshalb überrascht es nicht, dass die Tempelpriester wissen wollen, wer denn eigentlich dieser Unruhestifter ist. Mit welcher Autorität im Rücken erdreistet er sich, den Tempel zu säubern? Welches Zeichen kann er vorweisen, um einen so ganz offensichtlich sträflichen Akt zu rechtfertigen?
Wie es auch sonst seine Gewohnheit ist, ignoriert Jesus diese Fragen völlig und antwortet stattdessen mit einer eigenen, rätselhaften Prophezeiung. «Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten», sagt er. Die Menge ist wie vom Donner gerührt, sodass sie offenbar gar nicht mitbekommt, wie Jesus und seine Jünger still und leise den Tempel verlassen und aus
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